Der Fluch der Hebamme
sterben würden. Es hieß, als die Christen vor fast hundert Jahren Jerusalem eingenommen hatten, seien sie bis zu den Knöcheln durch das Blut der von ihnen Erschlagenen gewatet.
Vielleicht sollte er sich besser wünschen, nie dorthin zu kommen?
Aber das war schon wieder solch ein unheilvoller, abgründiger Gedanke, vor dem ihn Roland zu Recht warnen würde. Denn aufhalten auf dem Weg dorthin würde sie nur … der Tod.
Am 22. März des Jahres 1190 – am Gründonnerstag – begann das Heer mit der Überfahrt über die Dardanellen.
Unter wolkenbruchartigen Niederschlägen waren die Truppen zu einem Küstenort namens Gallipoli marschiert, wo die Flotte sie bereits erwartete.
Die Straßen waren durch den Regen so unwegsam geworden, dass die meisten Karren und Wagen aufgegeben und die Lasten auf Packpferde verteilt werden mussten.
Diesmal hatte der byzantinische Kaiser Wort gehalten: siebzig Lastschiffe, einhundertfünfzig Schiffe, mit denen Pferde befördert werden konnten, und fünfzehn Galeeren mit voller Besatzung lagen vor der Küste und warteten darauf, die Wallfahrer über die Dardanellen zu befördern.
Thomas nutzte die erstbeste Gelegenheit, sich vom Lager zu entfernen, denn er wollte das Meer sehen. So viel Wasser konnte
er sich einfach nicht vorstellen.
Roland folgte ihm, wohl von ähnlichen Gedanken getrieben.
»Immerhin – man sieht das andere Ufer«, meinte er unbehaglich. »Wie weit wird es wohl bis dahin sein?«
»Schwer zu schätzen … Ich bin mir nicht sicher, ob ich so weit schwimmen könnte.«
»Und schau dir diese Nussschalen an, wie sie schwanken. Mir wird schon bei der Vorstellung schlecht, da mein Pferd hineinführen zu müssen.«
Missmutig schaute er zum Himmel, aus dem es immer noch schüttete. »Wasser von oben und unten … Hieß es nicht, wir müssten durch Wüsten ziehen?«
»Die kommen noch, keine Sorge. Dann wirst du dich nach solchem Regenguss sehnen …«
Am Ufer herrschte mittlerweile solch reges Treiben, dass sie das Gefühl hatten, nur im Weg zu stehen. Pferde wurden hin und her geführt, Kisten herangeschleppt, Feuerstellen entzündet. Also gingen sie zu ihrem Teil des Lagers, wo sich die Knappen zusammen mit den Reisigen damit abplagten, in dem Morast den Leinenbaldachin aufzuspannen, damit die Ritter wenigstens halbwegs im Trockenen essen konnten.
Roland winkte seinen und Thomas’ Knappen heran.
»Kannst du eigentlich schwimmen?«, fragte er Gerwin, den Knappen, den er nun auszubilden hatte.
Der Vierzehnjährige nieste und schniefte, ehe er antwortete. »Nicht besonders gut, Herr.«
Thomas sah zu Rupert, der gleich von sich aus antwortete. »Ja, Herr!«
»Dann gehst du jetzt mit Gerwin und übst mit ihm, bis er es kann«, befahl Roland. Das Schwimmen gehörte zu den Fertigkeiten, die ein Ritter beherrschen sollte. Doch bisher hatte sich keine Möglichkeit ergeben, ihn darin zu unterweisen.
Missmutig starrte Roland den beiden Jungen nach. Mit zusammengekniffenen Augen legte er den Kopf in den Nacken, ließ sich den Regen über das Gesicht laufen, dann schüttelte er die Nässe ab und strich sich die Haare nach hinten.
»Mulmig ist mir schon angesichts der Vorstellung, mich nun den Schiffsplanken anvertrauen zu müssen, statt richtigen Boden unter den Füßen zu haben«, gestand Thomas, als der Freund immer noch schwieg. Sie hatten unterwegs mehrfach miterleben müssen, wie bei Flussüberquerungen Menschen und sogar Pferde ertrunken waren – in tückische Strudel gerissen, manchmal nur ein paar Schritte vom Ufer entfernt.
Roland jedoch schien in Gedanken ganz woanders – und nicht bei Philipp, wie Thomas vermutet hatte.
»Weißt du … sie könnte jetzt gerade ein Kind bekommen …«
Das war eine Angelegenheit, über die Thomas nicht nachdenken wollte. »So viel könnte geschehen sein, von dem wir nichts wissen«, versuchte er, dem Freund die düsteren Gedanken zu vertreiben.
»Ich meine nur … für den Fall, dass ich nicht lebend drüben ankomme … Wirst du sie nach deiner Heimkehr bitten, ein Gebet für mich zu sprechen?«
Wider Willen musste Thomas lachen. »Vielleicht solltest
du
lieber mit Rupert schwimmen üben? Werden wir nicht beide im gleichen Schiff sein? Also kehren wir entweder beide nach Hause zurück, oder sie muss für uns beide ein Gebet sprechen!«
Noch am Gründonnerstag setzte der Herzog von Schwaben mit seinem Gefolge als Erster über den Hellespont. Am Karfreitag und Samstag folgten ihm seine Truppen aus
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