Der Fluch der Hebamme
verscharrt worden.
»Geh zurück nach Meißen. Vielleicht gibt dir irgendjemand heimlich Nachricht, wo sie sich versteckt«, sagte er zu Guntram. »Vielleicht schlägt sie sich auch allein nach Freiberg durch. Ich werde morgen losreiten und sie suchen. Die Fuhrleute sollen mein Pferd unauffällig aus der Stadt bringen. Ihr bleibt alle hier und wartet, ob sie vielleicht Verbindung zu euch aufnimmt. Falls jemand von ihr hört – sagt, sie soll zur Hütte des Wilden Mannes. Sie weiß dann schon, was gemeint ist.«
»Ich habe mit Pater Hilbert gesprochen«, sagte Peter zu seiner Überraschung. »Rutger will ihn nicht in Eurem Haus behalten. Er hat fast das ganze Gesinde entlassen, abgesehen von mir, weil er mich im Auge behalten will. Wenn Pater Hilbert sich in Meißen als Schreiber anstellen lässt, findet er vielleicht etwas heraus.«
»Ja, das wäre eine Möglichkeit«, meinte Lukas, ohne davon überzeugt zu sein.
Er dankte den Männern für ihre Hilfe und ihren Mut und wünschte ihnen Gottes Beistand dafür, dass sie ungefährdet wieder in ihre Häuser gelangten.
Dann blieb er allein zurück und haderte mit seinem Schicksal, hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Verzweiflung.
Doch ab morgen war er wieder ein Mann zu Pferd und in Waffen. Er würde nichts unversucht lassen, um Marthe zu finden, falls sie noch lebte. Außerdem musste er in Erfahrung bringen, ob Clara und Daniel in Sicherheit waren und seine Söhne. Das war ziemlich viel zu tun für jemanden, der sich nirgendwo blicken lassen durfte, weil auf ihn ein gewaltiges Kopfgeld ausgesetzt war.
Mai 1190 im anatolischen Hochland
E rbarmungslos sengte die Sonne auf die Männer herab, die sich durch die unendliche, unvorstellbar leere Steppenlandschaft schleppten: zu Fuß, denn inzwischen waren fast alle Pferde elendig verreckt, ohne Nahrung und Wasser, doch in voller Rüstung, mit den schweißdurchtränkten, dicken Gambesons und den eisernen Kettenpanzern, die sich in der glühend heißen Sonne aufheizten. Der weiße Burnus über dem Kettenhemd, der die Sonnenstrahlen abmildern sollte, schien eher zusätzliche Last als Hilfe.
Die Luft flirrte vor Hitze und gaukelte ihnen Trugbilder vor: eine weiße Stadt, in der man sie freundlich willkommen heißen würde, eine Reiterschar, die vom Himmel herabstieg, um ihnen Schutz und Geleit zu geben … und vor allem Wasser! Ein See … ein Fluss … ein Bach … ein Rinnsal … ein einziger Schluck!
Doch sie wussten, Wasser war hier noch weniger zu erwarten als eine himmlische Heerschar.
Seit Tagen schon quälte sich die Streitmacht Friedrichs von Staufen bei mörderischer Hitze durch dieses karge, unwirtliche Land, in dem kaum mehr als ein paar Büschel dürres, hartes Gras wuchsen. Der einzige See, an dem sie gelagert hatten, war ein Salzsee gewesen; an seinem Ufer fand sich kein Halm, kein Blatt – nichts, was die Pferde und Zugochsen hätten fressen können. Am nächsten Morgen hatten sie die Hälfte der Tiere verloren. Das war nun beinahe zehn Tage her, zehn Tage unsäglicher Leiden.
Doch es war undenkbar, die Rüstung abzulegen. Immer wieder tauchten wie aus dem Nichts blitzschnelle Trupps berittener Bogenschützen auf, schossen ihre Pfeile ab und verschwanden so plötzlich wieder, wie sie gekommen waren.
Beim ersten Aufeinandertreffen hatten Thomas und auch Roland die Augen vor Verblüffung darüber aufgerissen, wie flink und wendig die feingliedrigen Pferde der Angreifer waren. Sicher, sie waren doch größer als Ziegen, wie der hellbärtige Bruno behauptet hatte, aber viel zierlicher als ihre eigenen Hengste und vor allem unglaublich schnell.
Deckung suchend hinter ihren großen Schilden – mehr konnten sie in diesem Moment nicht tun –, starrten die beiden jungen Ritter den Davonreitenden ungläubig nach. Die seldschukischen Bogenschützen waren nur leicht gerüstet und schossen ihre Pfeile zielsicher sogar aus dem Galopp heraus.
Anfangs hatten sich noch einzelne Reitereinheiten des Pilgerheeres dazu verleiten lassen, den Feinden nachzupreschen. Doch sie wurden in Fallen gelockt und niedergemacht. Inzwischen unterblieben solche Ausfälle nicht nur, weil die Männer begriffen hatten, dass sie aus dem Marsch heraus gegen die schnell ausschwärmenden Gegner nichts ausrichten konnten, sondern vor allem deshalb, weil sie kaum noch Pferde besaßen.
Und als sei dies alles nicht schon Unheil genug, mussten sie auch noch die alte Heeresstraße verlassen, weil Späher gemeldet hatten, dass
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