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Der Fluch der Hebamme

Titel: Der Fluch der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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ihnen weiter vorn dreißigtausend Feinde in einer Schlucht auflauerten. An dieser Stelle hatte Sultan Kilidsch Arslan vor vierzehn Jahren die Streitmacht des byzantinischen Kaisers vernichtend geschlagen und hoffte wohl, der römische Kaiser würde in dieselbe Falle laufen.
    Der Umweg über die steilen, schmalen Gebirgspfade machte das viele Meilen auseinandergezogene Heer noch anfälliger für Angriffe.
    Keiner der Männer besaß mehr die Kraft, nach einer der lästigen Bremsen zu schlagen, die sie umschwirrten. Mancher richtete den Blick starr nach vorn in der Hoffnung, dort irgendetwas zu entdecken, was Rettung versprach. Andere ließen den Kopf hängen und richteten ihre ganze Aufmerksamkeit darauf, einen Schritt nach dem anderen zu setzen und dabei möglichst weder in lange, spitze Dornen noch auf ein giftiges Tier zu treten. Und diejenigen, die an den Flanken des schier endlosen Zuges marschierten, äugten misstrauisch nach links und rechts, ob nicht erneut feindliche Reiter auftauchten.
    Ein paar Mal hatten sie in kleineren Gefechten mehrere Dutzend der Feinde niederstrecken können. Sie hatten ihnen morgens, nach Abmarsch der anderen, im Schutz von dichtem Rauch aufgelauert, als die Gegner das vermeintlich abgebrochene Lager plündern wollten. Denn bei jedem Aufbruch mussten die Kreuzfahrer mehr zurücklassen: Sättel, Karren, alles, was ohne Lasttiere nicht mehr mitgeführt werden konnte.
    Doch sobald sich das Heer in Marsch befand, war es zu starr, um diese blitzschnellen Angriffe abwehren zu können, die schon wieder vorbei waren, noch ehe die eigenen Bogenschützen größeren Schaden unter den Feinden anrichten konnten.
     
    Ich hätte nie gedacht, dass es solch ein leeres Land geben kann, dachte Thomas, während ihm die nassgeschwitzte Unterkleidung an der Haut klebte und scheuerte. Seine Lippen waren vor Durst ausgetrocknet und aufgerissen, seine Zunge lag wie ein taubes, geschwollenes fremdes Ding in seinem Mund, und Schweiß brannte ihm in den Augen. Doch er hatte es aufgegeben, ihn abwischen zu wollen. Die Hand zu heben war Kraftverschwendung, und damit würde er nur noch mehr Schweiß und Staub in die Augen reiben.
    Den Hunger, der Tag um Tag immer schmerzhafter in seinen Eingeweiden gewühlt hatte, schien er gar nicht mehr zu spüren; jetzt drängte der schreckliche Durst alle anderen Empfindungen beiseite.
    Irgendetwas krabbelte über seine Wange. Träge hob er nun doch die Rechte, um es fortzuwischen. Zu spät; es hatte sich bereits festgebissen, wie er an dem Brennen merkte und an der Blutspur auf seinem Handrücken sah.
    Was hatte Gott wohl im Sinn, als er dieses karge Land schuf?, überlegte er, während er fühlte, wie seine Wange allmählich anschwoll und taub wurde. Nur nackte Erde, kein Strauch, kein Baum. Nichts, das Schatten spendet. Und nicht das kleinste Rinnsal.
    Für einen Becher kühlen Wassers hätte er wie mittlerweile jeder von ihnen ein Vermögen hingegeben. Doch nicht einmal für Silber war hier Wasser zu bekommen.
    Mühselig versuchte er, sich das fruchtbare Tal in Erinnerung zu rufen, das sie bei Laodikeia durchquerten, als sie türkisches Gebiet erreicht hatten. Den munter sprudelnden Fluss und den Markt mit fremdartigen, saftigen Früchten und Säcken voll köstlich duftender Gewürze, deren betörende Düfte einem schon das Wasser im Munde zusammenlaufen ließen. Olivenhaine und Johannisbrotbäume, von denen in der Heiligen Schrift die Rede war und deren Anblick ihm erst so richtig bewusst machte, dass er bald das Land erreichen würde, in dem Gottes Sohn gepredigt hatte. Wie die Verheißung auf das Paradies war ihm dieser Anblick vorgekommen.
    Das lag kaum zwei Wochen zurück. Und nun konnte er sich nicht mehr an den Geschmack der Früchte und den Duft der Gewürze erinnern. Alle Empfindungen schienen von der gnadenlos sengenden Sonne ausgebrannt. Jetzt kannte er nur noch den salzigen Geschmack von Schweiß.
    Eine Zeitlang hatte er versucht, sich die vielen Arten Grün vorzustellen, in denen zu Hause um diese Jahreszeit alles sprießte. Das helle Grün des Ahorns, wenn die Blätter frisch austrieben, und das satte Grün einer Wiese, auf die gerade ein Regenschauer niedergegangen war … Das dunkle Grün der Tannenzweige und die hellen frischen Spitzen …
    Doch dann ließ er davon ab, solche Bilder beschwören zu wollen. Hier gab es nur das trostlose Braun der nackten Erde und das erbarmungslose Blau des Himmels ohne die Spur eines Wölkchens. Abgesehen von der

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