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Der Fluch der Hebamme

Titel: Der Fluch der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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gefaltet, andere reckten die Arme zum Himmel und flehten um Beistand. Lediglich Gottfried von Würzburg, der erfahrene Heerführer, saß in Rüstung im Sattel, doch auch er hatte die Stola umgelegt und betete inbrünstig.
    Also jetzt und hier, dachte Thomas.
    Ob ihn einer dieser Krummsäbel enthaupten oder zerstückeln würde? Ob man ihn gefangen nehmen und hinrichten würde? Oder würden ihn Pferdehufe zermalmen, nachdem ihn ein Pfeil aus dem Sattel geschossen hatte? Wenn er jetzt starb, sollten ihm nach den Worten des Bischofs Erlösung und ewiges Seelenheil sicher sein. Im Jenseits würde er seinen Vater treffen.
    Ein tröstlicher Gedanke – und zugleich ein wenig beunruhigend. Ob sein Vater wohl damit zufrieden war, was er aus seinem Leben gemacht hatte? Wirkliche Heldentaten zu vollbringen, war ihm in der kurzen Zeit als Ritter nicht vergönnt gewesen.
    Seine Mutter würde weinen. Und Lukas bestimmt ein schlechtes Gewissen haben. Vielleicht würden beide um seinetwillen streiten. Dieser Gedanke war es vielleicht, der ihn am meisten störte bei der Vorstellung, jetzt zu sterben. Vielleicht konnte er einen Engel dazu bringen, seiner Mutter und Lukas auszurichten, dass sie sich keine Vorwürfe machen sollten.
    Mit der schmerzenden linken Hand griff er die Zügel, so fest es ging, und strich Radomir beruhigend über den Hals. So weit haben wir es geschafft, mein Freund! Noch ein paar Meilen, und wir wären wieder in christlichem Gebiet, erst bei den Armeniern und dann in Antiochia … Aber Gott hat wohl anders entschieden.
    Er ließ den Blick über die Männer wandern, die links und rechts von ihm in den Sätteln saßen und die so lange seine Weggefährten gewesen waren: Dietrich von Weißenfels, Roland, der alte Gottfried, Wiprecht, der Auenweiler. Sie alle sahen zum Kaiser, als erwarteten sie ein Wunder.
    Friedrich von Staufen, der glanzvolle Herrscher, der aufrecht allen Gegnern getrotzt hatte, sogar dem Alter, der mit eiserner Hand dieses Heer zusammengehalten und durch so viele Länder bis hierher geführt hatte, der den Kaiser von Byzanz bezwang und eben noch selbst im Kampf vorangeritten war – er erwartete nun kein Wunder mehr.
    »Ich würde mein Leben geben, wenn dafür dieses Heer schon sicher in Antiochia wäre …«
    War es wirklich der Kaiser, der das eben gesagt hatte?
    Dass sie alle jetzt starben, schien unausweichlich. Aber doch nicht der von Gott gesalbte Kaiser! Das war undenkbar.
    Nun schien ein Ruck durch die Gestalt des greisen Herrschers zu gehen. Seine eben noch offenen, von tiefer Rührung gezeichneten Gesichtszüge verhärteten sich. Dann zog er sein Schwert, reckte es in die Höhe und rief: »Christus!«
    Er lenkte sein Pferd nach vorn, und auf sein Kommando stellten sich die gepanzerten Reiter erneut in einer Linie auf, um dem
     Feind entgegenzureiten, den Tod vor Augen.
    Schon galoppierend, brüllte Thomas den Schlachtruf mit. Vor ihm flackerte für einen Augenblick das Gesicht seines Vaters auf, und er dachte: Ich komme, Vater!
    Dann waren sie an den Feind heran und kämpften sich verbissen hindurch, dem Tod blutige Ernte einholend.
     
    Schreie. Stöhnen. Und dazwischen Vogelgekreisch.
    Thomas hätte nicht sagen können, welcher Teil seines Körpers ihn am meisten schmerzte, als er wieder zu sich kam. Sein Kopf dröhnte, als hätte ihn etwas mit voller Wucht getroffen, wahrscheinlich war es auch so. Sein linker Arm brannte wie Feuer. Eigentlich schien sein ganzer Körper zu brennen. Und irgendetwas bohrte sich schmerzhaft in seinen Rücken – ein Stein, der Knauf eines Schwertes, ein abgebrochenes Stück von einem Speer oder Schild?
    Vorsichtig öffnete er die Augen einen Spalt, sah geradewegs in die gleißende Sonne und fühlte jäh Übelkeit in sich aufsteigen. Unter Schmerzen wälzte er sich zur Seite und erbrach sich; es war eigentlich mehr ein qualvolles Würgen. Nur noch gelbe Galle kam heraus, gegessen hatte er seit Tagen nichts mehr.
    Dann ließ er sich wieder sinken. Die kleine Bewegung schien ihn die letzte Kraft gekostet zu haben.
    Bin ich im Himmel?, fragte er sich.
    Aber links und rechts von sich hörte er Männer in seiner und in einer fremden Sprache schreien, beten oder fluchen.
    Also war er im Fegefeuer? Wieder öffnete er die Augen und sah das Blau des Himmels. Neben ihm lag eine abgeschlagene Hand. Erschrocken hob er den gefühllosen linken Arm – nein, seine Hand war noch am Körper.
    Er versuchte, sich aufzusetzen, obwohl er wusste, dass das sehr

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