Der Fluch der Hebamme
nicht nur zu einem unförmigen Klumpen angeschwollen, die Wunde war an den Rändern schwarz und stank. Also kam der Feldscher, um ihm den Arm abzunehmen.
»Es gibt da eine alte Familienschuld. Die würde ich heute gern einlösen«, sagte er zu Roland. Der begriff, was Thomas meinte, und blickte noch düsterer drein als ohnehin schon. »Bist du dir ganz sicher?«
»Ja«, sagte Thomas heiser. »Wozu noch leben, wenn ich nicht mit beiden Händen kämpfen oder ein Mädchen umarmen kann, das mich liebt?«
Rupert sah ihn fragend an, und Roland erklärte ihm: »Mein Vater hat seinem einmal den Schwur abgenommen, den Feldscher mit den Knochensägen fortzujagen, als sein Bein so aussah wie jetzt Thomas’ Arm.«
»Und, ist Euer Vater gestorben?«, fragte der Knappe bedauernd.
»Nein, Thomas’ Mutter hat das Bein gerettet. Mit Ausbrennen und Kräuterumschlägen. Und sofern es sich dein Meister nicht noch einmal anders überlegt, kannst du ihm nun das glühende Messer im byzantinischen Wald auf gleiche Art vergelten.«
»Jetzt gleich?«, fragte Rupert.
»Es nutzt nichts, es hinauszuzögern«, entschied Roland auf der Stelle. »Geh und hole, was wir dazu brauchen.«
Rupert nickte und stand auf.
»Wirklich erstaunlich, der Junge«, sagte Roland, als der Knappe hinaus war. »Statt wie die anderen Beute zu machen, hockte er die ganze Zeit hier und wartete, dass du ein Lebenszeichen von dir gibst. Graf Dietrich wollte ihn zum Ritter ernennen, doch er bedankte sich in aller Höflichkeit für die Ehre und meinte, er würde lieber warten, bis
du
ihm die Sporen umbinden kannst.«
»So ein Dummkopf«, meinte Thomas und zwang sich zu einem Lächeln angesichts dessen, was ihm gleich bevorstand. Doch die Hartnäckigkeit des Jungen rührte ihn.
»Also habt ihr Beute gemacht?«, erkundigte er sich, um sich abzulenken.
Roland grinste. »Gold, Silber, Edelsteine … Wohl an die hunderttausend Mark Silber. Vor allem aber Weizen und Gerste, Fleisch und Käse. Wir bekommen einen Markt, um Pferde zu kaufen, und zwanzig Emire und andere Fürsten als Geiseln zur Sicherheit, bis wir die kilikische Grenze erreichen.«
Müde und erleichtert lehnte sich Thomas zurück. Das waren gute Neuigkeiten.
»Wann marschieren wir ab?«, fragte er.
»Wir bleiben noch lange genug, bis du dich wieder im Sattel halten kannst.«
»Du warst schon immer ein schlechter Lügner«, sagte der Jüngere mit leisem Vorwurf. Wenn er nicht an Wundbrand sterben wollte, musste ihm jemand tief ins Fleisch schneiden, um alles Kranke herauszulösen. Und falls er dabei nicht verblutete und auch noch das Ausbrennen überlebte, würde es Wochen dauern, bis er die Zügel wieder aus eigener Kraft halten konnte. Geschweige denn sich in den Sattel ziehen.
»Trink das jetzt, und wenn du alles überstanden hast, werde ich etwas zu essen auftreiben. Vorher hat das wohl keinen Sinn«, sagte Raimunds Sohn statt einer Antwort.
»Weil es Verschwendung wäre, es an einen Toten zu verfüttern? Oder weil du befürchtest, ich bringe es auf der Stelle wieder heraus?«, versuchte Thomas einen müden Scherz. »Da wir jetzt bei den Ungläubigen sind, lässt sich hier vermutlich auch kein Wein auftreiben, um mir die Sache erträglich zu machen …«
»Prahlhans!«, spottete Roland. »Als ob du jetzt Wein vertragen könntest!«
Rupert kam zurück, und beim Anblick seiner Begleiter verging Thomas das Scherzen. Der Knappe trug ein Becken mit glühenden Kohlen und kam zusammen mit einem der Feldscher und dem kleinen Mönch.
Thomas krampfte die gesunde Hand in das Fell und sah Roland beschwörend an. »Habe ich dein Wort? Ganz gleich, was er sagt?«
Roland zögerte, dann nickte er und wandte sich zu dem Feldscher um. Es war nicht jener, mit dem Thomas aneinandergeraten war, sondern ein vierschrötiger Mann mit höckerigem Schädel und Glatze.
»Die Knochensäge wird hier nicht gebraucht!«
»Das entscheidet nicht Ihr«, widersprach der Feldscher gelassen und näherte sich dem Kranken, um einen Blick auf die Wunde zu werfen. »Wenn Euer Freund überleben will, muss der Arm ab. Aber keine Sorge, ich bin schnell und der Beste hier auf meinem Gebiet. Fast jeder Dritte kommt durch, dem ich ein Bein oder einen Arm abnehmen muss.«
Roland stand auf und trat ihm in den Weg. »Das mag sein, und meinen Glückwunsch zu diesem Erfolg! Aber hier wird heute kein Arm abgenommen. Schneiden und ausbrennen müssen genügen. Falls nötig, übernehmen wir das selbst.«
Rupert nickte zustimmend, auch wenn
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