Der Fluch der Hebamme
seinen Kopf über Lukas’ Schulter. Wir treiben nun beide ziellos durch die Welt, dachte dieser, und warten auf den Schlächter.
Jakob kam überraschend schnell, auf einem kostbaren Schimmel von ausgezeichnetem Körperbau.
Ganz der Gutsherr, dachte Lukas sarkastisch, dem bei dieser Gelegenheit wieder einmal bewusst wurde, wie reich sein Vater gewesen war und wie reich er jetzt sein könnte, hätte er nicht auf das Erbe verzichtet. Doch er trauerte dem Geld und dem Land nicht nach. Sein Leben mit Marthe in Freiberg war erfüllt gewesen – und an dieser Stelle ertappte er sich zu seinem Erschrecken dabei, dass er schon in der Vergangenheit von ihr dachte.
Das darf nicht sein!, riss er sich zusammen. Sonst könnte der Gedanke Wirklichkeit werden.
»Es ist unklug von dir, herzukommen«, begrüßte ihn Jakob, ohne aus dem Sattel zu steigen. Das zeigte Lukas, dass er hier nicht viel zu erwarten hatte.
»Keine Sorge, ich verschwinde sofort wieder«, beruhigte er seinen Bruder kühl. »Niemand außer dem alten Frieder hat mich gesehen. Ich will nur wissen, ob meine Frau dir vielleicht eine Nachricht geschickt hat – und wie es meinem Sohn geht und deinem Erstgeborenen.«
Der junge Jakob war immerhin sein Knappe gewesen, bis sein Bruder beschlossen hatte, ihn aus dem bei Albrecht wenig angesehenen
Haushalt von Lukas zu holen.
»Den Jungen geht es gut. Und es ginge ihnen noch besser, wenn du sie nicht durch dein Erscheinen in Gefahr bringen würdest«, wies Jakob ihn ungehalten zurecht.
»Du scheißt dir ja gleich ein vor Angst!«, gab Lukas zurück, der nun richtig in Wut geriet. »Ich werde dich nicht länger behelligen als für diese eine Frage: Hast du etwas von meiner Frau gehört?«
»Das habe ich nicht«, sagte Jakob schroff und riss an der Trense seines Hengstes, der die Gereiztheit des Reiters spürte und ebenfalls unruhig wurde. »Und es tut mir wirklich leid um sie, ich werde für sie beten. Doch jetzt solltest du von hier verschwinden, ehe du meine Familie auch noch in Gefahr bringst. Du ahnst nicht, wie schwer es war, meinen Ältesten nun noch als Knappen irgendwo unterzubringen, nachdem ich ihn von dir weggeholt habe! Giselbert will ihn nehmen, der Mundschenk, aber dafür dürfen wir uns nicht das Geringste zuschulden kommen lassen. Und nur solange ich als unverdächtig gelte, ist auch dein Sohn bei mir sicher. Das solltest du nicht vergessen.«
»Wäre es dir lieber, wenn ich ihn mit mir nehme?«, fragte Lukas und wog das Für und Wider ab.
»Damit er auch das Leben eines Gesetzlosen führt?«, meinte sein Bruder und schnaubte. »Lass ihn lieber bei mir. Ich nehme ihn an Sohnes statt an, das ist das Beste für ihn.«
Wahrscheinlich – jedenfalls bis ich die Mark verlasse, überlegte Lukas. Ich sollte meinem Bruder dankbar sein, statt ihn mit Vorwürfen zu überhäufen. Und er hat sogar recht. Je mehr sich Jakob bei den neuen Herren andient, umso sicherer ist mein Sohn bei ihm. Ich kann es ihm nicht einmal verübeln, dass er seine Familie schützen will. Ich hätte es mit meiner auch tun sollen. Stattdessen habe ich mit meiner maßlosen Selbstüberschätzung erreicht, dass meine Frau wahrscheinlich tot ist, mein ältester Ziehsohn auf einem Kriegszug mit höchst ungewissem Ausgang, meine Stieftochter ihr erstes Kind unter freiem Himmel in einem finsteren Wald gebären musste und ich um das Leben meiner Söhne zittern muss.
»Sag dem Jungen nicht, dass ich hier war«, bat er seinen Bruder, schon beinahe versöhnlich. »Es war nur eine irrwitzige Hoffnung, die mich zu dir getrieben hat, verstehst du? Falls du etwas von Marthe hörst, würdest du Fürstin Hedwig eine Nachricht zukommen lassen? Dann siehst du mich nie wieder und kannst dich beruhigt um deine Ländereien kümmern.«
Seine Helfer in Freiberg würde er Jakob nicht nennen, dafür traute er ihm nicht genug. Gegen Hedwig würde niemand etwas zu unternehmen wagen. Und zu ihr würde er sowieso reiten müssen. Vielleicht war Marthe ja dort. Dies war fast seine letzte Hoffnung.
»Das mache ich«, versprach Jakob, nun beinahe verlegen. »Gott schütze dich, Bruder.«
»Dich auch!«, antwortete Lukas und wendete seinen Hengst.
Burg Seußlitz – Hedwigs von Albrecht bestimmter Witwensitz – war sein nächstes Ziel. Er ritt in weitem Bogen um Meißen herum und ließ sich ein ganzes Stück von der Stadt entfernt von einem Fährmann über die Elbe setzen. Dafür hatte er die Kleidung eines Ritters gegen die einfache
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