Der Fluch der Hebamme
Ich habe jeden Tag für Euch und Eure Gemahlin gebetet – und für das Seelenheil Eures Schwiegersohnes.«
»Danke, Hoheit. Mir geht es gut, meine Kinder sind in Sicherheit. Aber ich habe nicht den geringsten Hinweis darauf, was mit meiner Frau geschehen ist, nachdem man sie ins Verlies geworfen hat. Die Sorge um sie bringt mich fast um.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen«, erwiderte Hedwig kummervoll. »Ich bedaure es zutiefst, Euch in dieser Sache nicht helfen zu können. Gleich, nachdem ich von diesem schrecklichen Zwischenfall hörte, habe ich einiges versucht, um sie zu retten. Ich hatte schon ein paar kampfentschlossene Männer zusammengerufen. Doch dann war sie plötzlich verschwunden …«
Verblüfft starrte Lukas die einstige Markgräfin an. Er wusste, dass sie eine überaus kluge Frau war und sicher auf dem Meißner Burgberg noch einige heimliche Verbündete hatte. Aber wie hatte sie so schnell davon erfahren – und auch etwas unternehmen können?
Hedwig beantwortete mit einem feinen Lächeln seine unausgesprochene Frage. »Der hiesige Burgkommandant ist mir aus Gründen, die ich nicht nennen will, treu ergeben. Er soll meinem Sohn regelmäßig berichten, dass ich hier keine Ränke schmiede, und nutzt jeden seiner Aufenthalte in Meißen, um für mich Erkundigungen einzuziehen.«
»Und Ihr seid sicher, dass Ihr ihm vertrauen könnt?«, platzte Lukas heraus.
»Vollkommen. Sonst würdet Ihr jetzt nicht mit mir plaudern, sondern wäret schon auf den Hof geschleift und hingerichtet worden.«
Das war ein überzeugender Beweis, auch wenn Lukas keine Erklärung dafür fand – abgesehen davon, dass Hedwig trotz ihrer fünfzig Jahre immer noch eine beeindruckende Frau mit besonderer Ausstrahlung war.
Der Burgkommandant hatte ihn in Hedwigs Gemächer geleitet, ohne Fragen zu stellen. So saß er nun hier in der Kemenate, und nur Susanne leistete ihnen Gesellschaft, schenkte Wein nach und hatte einen silbernen Teller voller Leckerbissen gebracht.
»Außerdem habe ich noch einen weiteren Spion, der sich regelmäßig zwischen Meißen und Seußlitz bewegt – kein anderer als unser gemeinsamer Freund Ludmillus«, weihte ihn Hedwig lächelnd ein. »Er tauchte bald in Seußlitz auf, nachdem mein Sohn mich herbringen ließ, und außer mit seinen Liedern sorgt er auch mit allerlei Neuigkeiten dafür, dass mir die Zeit nicht lang wird. Er reist jetzt von Burg zu Burg und hört sich überall um, ob er etwas über das Schicksal Eurer Frau in Erfahrung bringen kann. Ihr seht also, Ihr seid nicht allein bei Eurer Suche nach ihr. Und solange wir nicht genau wissen, dass sie tot ist, werden wir nicht aufhören, nach ihr zu suchen.«
Tief bewegt lehnte sich Lukas zurück. »Ich kann nicht in Worten ausdrücken, wie dankbar ich Euch bin«, sagte er. »Auch dafür, dass Ihr die Hoffnung nicht aufgegeben habt … Selbst wenn es kaum noch Hoffnung gibt.«
»Es gibt immer Hoffnung«, widersprach Hedwig. »Man darf sich nur nicht davon abhalten lassen, nach jeder Niederlage wieder aufzustehen und seinen Weg trotz aller Wunden weiterzugehen.«
Mit einer freundlichen Geste lud sie ihn ein, sich von dem köstlich gewürzten Braten oder den in Honig eingelegten Früchten zu nehmen.
»Was wollt Ihr nun tun?«, fragte sie, während er aß. »Das Beste wäre, Ihr bliebet hier und wartet, bis wir etwas in Erfahrung gebracht haben.«
Höflich bedankte sich Lukas für das Angebot. »Ich kann mich nicht verkriechen und einfach abwarten. Mit meinen Verbündeten in Freiberg habe ich abgesprochen, dass wir uns aller zwei Wochen in einem Versteck vor der Stadt treffen. Wenn Ihr also eine Nachricht für mich habt, schickt sie am besten an den Schmied Jonas, den Ratsherrn. Oder an Raimund von Muldental. Das ist der unauffälligste Weg.«
Voller Mitgefühl sah Hedwig ihn an. »Wollt Ihr wirklich auf unabsehbare Zeit das Leben eines Gesetzlosen führen, immer auf der Flucht? Außerdem ist es viel zu gefährlich für Euch, so nah an Freiberg heranzukommen. Wie ich gehört habe, hat inzwischen Randolfs Sohn Eure Stellung auf der Burg übertragen bekommen und sich in Euerm Haus eingenistet. Zum Lohn dafür, dass er sich in Döben gegen meinen Gemahl gewandt hat.« Bei diesen Worten klang ihre Stimme verächtlich. »Seid auf der Hut vor ihm! Er ist hinterhältig, rachsüchtig und hat trotz seiner jungen Jahre ein sicheres Gespür für Zuträger und Leute, die zu einem Verrat bereit sind.«
»Ich weiß«, sagte Lukas voller Bitterkeit.
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