Der Fluch der Hebamme
mir das Herz, ihren Ritter so leiden zu sehen. Er ist ein aufrechter, tapferer Mann. Doch ich befürchte, er wird das nächste Opfer meines rachsüchtigen Sohnes. Ewig kann er sich nicht verborgen halten.«
»Kann ich irgendetwas für Euch tun, Hoheit?«, erkundigte sich der Kommandant, und seine Frage war ernst gemeint, wie jedes Mal.
Hedwig zögerte, dann sah sie ihn an. Sollte sie wirklich so weit gehen? Alles gefährden, was ihr Leben hier auf Seußlitz erträglich machte?
»Ich fühle mich … einsamer als je zuvor in meinem Leben … nachdem ich diese traurige Liebesgeschichte mit ansehen muss«, gestand sie. »Hättet Ihr vielleicht die Freundlichkeit … mich einmal kurz in die Arme zu schließen … als treuer Freund?«
Nach dem ersten Moment freudiger Verblüffung trat der Mann auf sie zu. Vorsichtig, als könnte er sie zerbrechen oder sie bei seiner Berührung zurückscheuen, legte er seine Arme um ihre Schultern, und als sie keinen Einspruch erhob, zog er sie an sich.
Hedwig schloss die Augen und genoss die Halt und Trost spendende Umarmung. Sie hatte Mühe, dabei nicht in Tränen auszubrechen. Wie lange hatte sie so etwas vermisst! Sechs Jahre waren seit dem Tod ihres Geliebten vergangen, und ihre Ehe mit Otto war ohne jede zärtliche Berührung gewesen.
»Bitte sagt, ob ich Euch weiter halten darf oder ob Ihr mich fortschickt«, raunte der Burgkommandant mit heiserer Stimme.
»Bleibt!«, bat Hedwig fast flehentlich. »Haltet mich fest und lasst mich nie mehr los!«
»So lange Ihr wollt«, antwortete er leise. Er zog sie noch fester an sich, und als sie immer noch nichts unternahm, die zärtliche Umarmung zu beenden, fasste er sich ein Herz und tat, wovon er nächtelang geträumt hatte. Sanft küsste er ihre Halsbeuge, dann küsste er ihr die salzigen Tränen von den Wangen, und schließlich küsste er ihren Mund. Als sie seinen Kuss erwiderte, glaubte er, der glücklichste Mann auf Erden zu sein. Und dann nahm er ihren Kopf zwischen seine Hände und flüsterte ihr Liebesworte zu, bis sie in einer leidenschaftlichen Umarmung verschmolzen.
Neuigkeiten aus Freiberg
W ieder einmal traf sich Lukas in der verlassenen Grube bei Freiberg mit einem seiner dortigen Vertrauten. Diesmal war Karl, der Bergschmied, gekommen, der gar nicht erst durch das Stadttor gegangen war, sondern sich bei Anbruch der Dämmerung gleich unbeobachtet in den Stollen geschlichen hatte.
Um keinen Verdacht zu erregen, kam jetzt zumeist nur einer seiner Verbündeten zu den heimlichen Treffs aller zwei Wochen und berichtete ihm, was es inzwischen an Neuigkeiten in der Stadt gab und ob jemand eine Spur zu Marthe gefunden hatte. Neuigkeiten gab es viele, und es waren kaum gute darunter, doch über Marthes Schicksal gab es immer noch nicht den geringsten Anhaltspunkt. Ihr Name durfte in der Stadt ebenso wenig genannt werden wie seiner.
Wie stets brachte Karl ein Päckchen Proviant mit. Und wohl zum hundertsten Male fragte sich Lukas, wie er diesen Leuten vergelten sollte, was sie für ihn wagten und dass sie so großzügig ihr bisschen Habe mit ihm teilten.
Hedwig hatte ihm beim Abschied eine beträchtliche Menge Silber überreicht. Er hatte das ablehnen wollen, aber Hedwig bestand darauf, dass er es annahm. »Damit kann man oft mehr erreichen als mit Waffen. Gut möglich, dass Ihr das Geld einmal als Bestechung braucht, um Eure Frau zu befreien oder Euch die Flucht zu erkaufen«, hatte sie gesagt. »Ich stehe so tief in Eurer Schuld und in der Eurer Frau, dass Ihr es ohne Bedenken annehmen könnt.«
Doch weder Karl noch sonst einer seiner Verbündeten würde derzeit auch nur einen Pfennig davon nehmen. Nicht einmal Jonas wollte das Geld für das Schwert, auch wenn er sehr lange daran gearbeitet hatte und sich nun sicher einschränken musste mit seiner großen Familie. Aber er wollte mit der Bezahlung auf den Tag warten, an dem endlich Marthes Schicksal geklärt war.
Karl brachte diesmal üble Nachrichten aus der Stadt.
»Albrecht hat den Freibergern höhere Abgaben auferlegt; auch die Bergleute müssen nun mehr von ihrer Ausbeute abliefern. Das bringt manche von ihnen fast an den Bettelstab, denn die Erzgänge sind derzeit nicht mehr so ergiebig wie in den ersten Jahren, wie Ihr wisst«, erzählte er, während er sich einen Schuh auszog und den Beinling auswrang. Ein Teil der Stollensohle stand unter Wasser, und er war im Dunkeln in eine dieser Lachen hineingetreten.
»Der Marschall, Euer Schwager, kam mit drei Dutzend
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