Der Fluch der Hebamme
es allein im Dunkeln und lassen sich einzeln abschlachten! Verräterpack! Ist das etwa ein geeintes fränkisches Heer?«
So aufgebracht hatte Thomas seinen Freund bisher nur ein einziges Mal erlebt – bei ihrer Prügelei nach der Flucht aus Freiberg. Aber ein Blick auf die anderen Männer zeigte ihm, dass sie genauso dachten.
»Wenn Ihr erlaubt, Herr – holen wir sie da raus, damit sie nicht alle niedergemetzelt werden, wenn sie sich schon zurückziehen müssen?«
Roland zog das Schwert und war schon im Begriff, loszulaufen. Nur Graf Dietrichs Blick hielt ihn noch zurück.
»Einverstanden, stehen wir ihnen bei«, stimmte Dietrich zu. »Wenn morgen die Stadt nicht kapituliert, werden wir stürmen, und dann brauchen wir jeden einzelnen Mann. Gott schütze uns!«
Ritter und Bogenschützen rannten gemeinsam durch die Nacht in die Richtung, aus der Kampflärm tönte. Inzwischen loderten vor ihnen schon mehrere Brandherde hell auf, griechisches Feuer, das die Belagerer zu fürchten gelernt hatten. Unterwegs schlossen sich ihnen etliche Männer an, die vermutlich zu den gleichen Schlussfolgerungen gekommen waren.
Thomas und Roland hatten genug Zeit vor den einzelnen Mauerabschnitten zugebracht, um dort jedes Stück Weg, jeden losen Stein zu kennen.
Sie ahnten schon, wo die anderen den Durchbruch versuchen wollten: an jener Stelle, wo »Gottes höchsteigene Stimme« die bisher größte Bresche geschlagen hatte. Dort lagen riesige Steintrümmer zu einem Haufen aufgeschüttet, und den hatten die Angreifer erklimmen wollen. Doch die Stelle war durch Bogenschützen auf der Mauer und einen doppelten Schildwall gesichert, und von unten gegen einen Wall anstürmen zu wollen, war ebenso leichtsinnig wie aussichtslos, das wusste selbst der jüngste Knappe.
Die Verteidiger der Stadt ließen sich nicht hinauslocken, sondern hielten einfach die Stellung, während Bogenschützen auf die Angreifer zielten oder Feuertöpfe auf sie warfen.
Alles, was Dietrich und seine Kämpfer jetzt tun konnten, war, den Rückzug der leichtsinnigen Engländer und Pisaner zu sichern. Er ließ die Schützen auf die Männer auf der Mauer zielen, während die Ritter den Fliehenden halfen, den Außenwall hinaufzugelangen.
»Ihr Bastarde habt wohl vollends den Verstand verloren?«, brüllte Thomas wütend einen stämmigen Mann mit goldenen Zähnen an, dessen Haar im Feuerschein rot leuchtete, während er ihn den Hang hochzerrte. Dann wandte er sich einem Jungen zu, der ihn beklemmend an Rupert erinnerte, und half ihm, Deckung hinter dem Wall zu finden.
Wenigstens war der Beschuss jetzt eingestellt worden – entweder hatten ihre eigenen Bogenschützen gute Arbeit geleistet, oder die Verteidiger wollten Pfeile sparen, da der Angriff nun abgewehrt war.
»Rückzug, sofort alle zurück!«, befahl Dietrich. »Nehmt die Verwundeten mit!«
Thomas blickte rasch um sich, aber die Männer in seiner Nähe schienen sich alle auf den eigenen Beinen halten zu können. Erleichtert wollte er sich zu Roland umdrehen.
Er fühlte das Unheil, noch bevor er einen Warnschrei ausstoßen konnte. So musste er hilflos ansehen, wie der Pfeil durch Rolands Kettenpanzer fuhr und den Rücken des Freundes durchbohrte.
Roland sackte in die Knie und schien nicht zu begreifen, was geschehen war. Mit zwei Schritten war Thomas bei ihm, hievte sich den Arm des Verletzten über die Schulter und schleppte ihn Richtung Krankenlager.
»Mach jetzt ja nicht schlapp!«, brüllte er den Freund an. »So kurz vor dem Ende … Der kleine Mönch flickt dich schon wieder zusammen … Ich will keinen Ärger mit deiner Mutter …«
Doch Roland antwortete nicht, sondern gab nur ein gurgelndes Geräusch von sich. Aus seinem Mundwinkel lief Blut.
»Halte durch … Wir sind gleich da … nur noch ein paar Schritte …«
Jemand half ihm, den Verwundeten von der anderen Seite zu stützen, und als Roland völlig zusammensackte, packten sie ihn vorsichtig unter den Armen und Knien und trugen ihn weiter.
Das kannst du nicht zulassen, Gott, haderte Thomas. Dass er nach alldem jetzt an einem Pfeil verreckt, an einem Pfeil in den Rücken! Dabei war ihm seine Ehre als Ritter doch immer so wichtig! Und er soll heimkehren und meine Schwester heiraten …
Er merkte nicht, dass ihm die Tränen über die Wangen liefen. Wenn sie nur erst beim kleinen Mönch waren … Sie würden Roland auf den Bauch legen, das Ringelgeflecht auftrennen, den Gambeson aufschneiden und dann den Pfeil herausziehen. Aus
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