Der Fluch der Hebamme
würgte er mit gebieterischer Geste ab.
Er hat es ja sehr eilig, an das Silber zu kommen, dachte Lukas von seinem Posten aus.
Wenig später schickte Albrecht den Bergmeister und den Münzmeister fort, sah sich in der Halle um und flüsterte Elmar etwas ins Ohr. Dieser winkte einen der Leibwächter heran und erteilte ihm einen Befehl.
Der Mann nickte, umrundete die Tafel und ging mit entschlossenen Schritten auf den Eingang der Halle zu, wobei er den dort knienden Ritter nicht aus den Augen ließ.
Es geht los, dachte Lukas. Gott und alle Heiligen, steht uns bei!
Während Lukas in Begleitung der bewaffneten Leibwache durch die Halle schritt, konnte er einen bemerkenswerten Vorgang beobachten, der sich an der hohen Tafel abspielte.
Albrecht griff nach einer Hühnerkeule, biss einmal kräftig ab und warf den Rest seinen Hunden zu, die sich sofort darum balgten.
Ein Knappe reichte ihm eine Schale, doch bevor Ottos Sohn seine Finger in das Wasser tauchte, um sie zu waschen, hielt er inne und erteilte Giselbert, dem neuen Mundschenk, einen Befehl. Der fette Ritter wirkte für einen Augenblick verwundert, dann tat er, was ihm angewiesen worden war: Er ließ sich einen Becher reichen und tauchte ihn in die Schüssel, kniete nieder, trank und drehte den Becher um zum Beweis, dass er ihn vollkommen geleert hatte.
Er lässt sogar das Handwaschwasser vorkosten!, dachte Lukas verblüfft. Wenn das kein Zeichen von Vertrauen in seine Gesellschaft ist. Angesichts solcher Pflichten wird der feiste Giselbert wohl bald an Gewicht verlieren.
Bei anderer Gelegenheit hätte Lukas gelacht, aber das verkniff er sich jetzt wohl besser.
Mit ausdrucksloser Miene trat er vor die Tafel, sank auf ein Knie und neigte den Kopf, wie es von ihm erwartet wurde. In der
Halle wurde es mit einem Mal auffallend still. Alle Blicke richteten sich nach vorn.
Albrecht schien ganz damit beschäftigt, sich die Hände mit einem Tuch abtrocknen zu lassen. Dann lehnte er sich zurück und runzelte die Stirn.
»Ach, Ihr seid es!«, sagte er gedehnt, als hätte er ihn nicht gerade zu sich befohlen. »Ich habe lange überlegt, was ich mit Euch anstelle. Ich weiß, wem Eure Ergebenheit gehört.«
Enttäuscht sah er auf den vor ihm Knienden. »Ihr widersprecht nicht einmal?«
»Es gibt hierbei nichts, worin ich Euch widersprechen könnte, Hoheit«, erwiderte Lukas ruhig.
»Nun, so soll es auch bleiben«, entgegnete Albrecht huldvoll. Dann blickte er lauernd auf den blonden Ritter vor sich. »Ich muss Euch mitteilen, dass sich Euer ältester Stiefsohn überaus schändlich betragen hat.«
Ich weiß nichts von Thomas’ Gefangennahme und Flucht, ermahnte sich Lukas und setzte eine erstaunte Miene auf. Ich weiß nicht einmal etwas von Ottos Gefangenschaft.
»Das bedaure ich sehr, Hoheit. Die Männer, die gestern in Euerm Auftrag so eifrig nach ihm suchten, waren nicht bereit, zu sagen, womit er sich Euren Unwillen zugezogen hat. Ich hoffe, Ihr gebt ihm Gelegenheit, seinen Fehler wieder gutzumachen.«
»Solltet Ihr wirklich nichts darüber gehört haben?«, fragte Albrecht mit hochgezogenen Augenbrauen. »Euer Stiefsohn hat sich seinen Pflichten entzogen und ist unter Mitnahme eines Pferdes und mehrerer Waffen aus dem Dienst entflohen. Er ist also ein Dieb.«
Merkwürdiger Dienst, zusammengeschlagen als Geisel im Verlies zu hocken, war Lukas’ erster, zynischer Gedanke. Doch bei Albrechts letzten Worten durchfuhr es ihn eiskalt. Was für ein teuflischer Plan – Thomas als Pferdedieb hinzustellen! Jeder, der ihn fand, konnte ihn nun einfach aufknüpfen. Wenn Albrecht diese Anschuldigung nicht aufhob, würde Thomas nie in die Mark Meißen zurückkehren können.
Nicht ganz unzutreffend entgegnete Lukas: »Ihr seht mich völlig fassungslos.«
»Nun ja, ich weiß, er ist nur Euer Stiefsohn. Bei seiner Herkunft kann man eigentlich nichts anderes erwarten«, meinte Albrecht abfällig. »Sofern Ihr mir den entstandenen Schaden ersetzt, will ich mich anlässlich meines Machtantritts großmütig zeigen und Euch die Sache nicht weiter nachtragen.«
»Selbstverständlich werde ich für den Verlust aufkommen«, erklärte Lukas sofort und fragte sich insgeheim, wie hoch Albrecht wohl die Kosten für Thomas’ eigenes Pferd ansetzte. Jetzt würde er nicht nur für Claras Brautgabe Geld leihen müssen, denn seine gesamte Barschaft hatte er Thomas mitgegeben. Da er auf sein Erbe verzichtet hatte und über kein eigenes Land verfügte, war er für einen Mann
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