Der Fluch der Makaá
getroffen, sodass er beinahe seine Taschenlampe hatte fallen lassen.
„Ich nehme sie dir ab, Bley“, bot ich bereitwillig meine Hilfe an, und streckte die Hand danach aus. „Du wirst beide Hände brauchen. Wir machen es so: du gehst zuerst über den Fluss, während ich dir leuchte. Dann werfe ich dir beide Taschenlampen zu und du leuchtest uns.“
„Klingt nach einem guten Plan.“, meinte Bley, und für einen Moment befürchtete ich, er würde sich nicht darauf einlassen – denn es war in der Tat ein Plan, mein Plan – doch ohne zu zaudern reichte er mir die Taschenlampe und gelangte nun, da er sich mit beiden Händen abstützen und die Attacken der beleibten, kleinen Vögel abwehren konnte, ohne Schwierigkeiten hinunter.
Das Wasser, das dem tiefsten Felsen entsprungen war und noch nie mit einer wärmenden Sonne in Berührung gekommen war, musste eisig kalt sein, und Bley sparte nicht an Hu’s und Ha’s, um dies deutlich zu machen. Ich hatte Robert die eine Taschenlampe in die Hand gedrückt und leuchtete mit der anderen Bley den Weg. Der Bach war keine drei Meter breit und mit einem hatte Bley recht gehabt: Er war nicht besonders tief. An der tiefsten Stelle umspülte das Wasser gerade einmal Bleys Hüfte. Allerdings riss die Strömung so stark an ihm, dass er sich dem Sog entgegenstemmen musste. Ich nutzte das Rauschen des Wassers, um meinen Brüdern meinen Plan ungehört mitzuteilen.
„Auf mein Zeichen“, wisperte ich. Sie nickten stumm. Bley überschritt die Mitte des Bachs. Jetzt oder nie! Ich griff nach Olivers Hand. „Jetzt!“, rief ich.
In der Höhle wurde es schlagartig stockfinster. Mit Olivers Hand in der meinen schlug ich blindlings den Weg ein, den ich zuvor ausgemacht hatte. Roberts Schritte hörte ich dicht hinter mir, das Rauschen zu meiner rechten. Dann erklang Bleys donnernde Stimme: „Mel, Robert? Was ist passiert? Wieso ist das Licht aus? – Hallo? – Hey, Leute, das ist echt kein Spaß – Verdammt… Ihr könnt mich doch nicht einfach so im Dunkeln stehen lassen! Ihr kleinen Biester! Wo zum Henker seid ihr?“
Irgendwann einmal hatte ich einen Artikel über das Phänomen Zeit gelesen. Darin stand, dass ein Moment drei Sekunden dauert, und zwar gemessen an der Zeit, in der wir uns mit geschlossenen Augen sicher in einem Raum bewegen können. Ich kann dies bestätigen. Es sind in der Tat drei Sekunden, ein äußerst kurzer Zeitraum, um sich für eine Richtung in völliger Dunkelheit zu entscheiden, die erfüllt ist vom Kreischen flatternder, kleiner Fettvögel.
Immer wieder gerieten wir mit unseren tastenden Händen in die Nester der Tiere und spürten empfindlich ihre empörten Schnäbelhiebe. Dennoch pressten wir unsere Lippen zusammen und machten so wenig Geräusche wie möglich, damit Bley, der sich unterdessen wohl mit schweren Schritten blindlings irgendwie aus dem Wasser gekämpft hatte, uns nicht verfolgen konnte. Ich wusste nicht, ob er zu unserer Seite zurückgekehrt war.
„Ihr macht einen schweren Fehler!“, drang es aus unbestimmter Entfernung zu uns herüber, doch wir beachteten es nicht. Das Rauschen nahm ab. Der Bach musste entweder eine abrupte Biegung machen oder irgendwo im Erdreich verschwinden, denn bald war von ihm nur noch ein leises Glucksen zwischen dem Gurren und Getschilpe der Nachtvögel zu hören.
Nachdem wir uns etwa zehn Minuten durch die Dunkelheit gekämpft hatten, wagte Oliver wieder zu sprechen.
„Meinst du, wir können Licht machen?“, fragte er flüsternd.
Noch immer hielt ich seine Hand in der meinen. Zusammen mit Robert hatten wir eine Kette gebildet, um uns nicht zu verlieren. Ich hatte keine Ahnung durch wie viele Kammern wir gekommen waren und wie weit wir uns von Bley entfernt hatten. Nicht zu wissen, wo wir uns befanden, erfüllte mich mit Furcht. Selbst wenn es uns gelungen war uns von Bley abzusetzen, gab es ein neues Problem: wir hatten versäumt, Markierungen an den Wänden und Steinen anzubringen, und es war nun unmöglich zu sagen, durch wie viele Windungen wir in das Herz der Höhle hineingestolpert waren, und es war fraglich, ob wir den Weg jemals zurückfänden – selbst wenn wir gefahrlos hätten Licht machen können.
Ich stierte in die vollkommene Finsternis und versuchte, sie mit den Augen zu durchdringen. Sagt man nicht, dass sich die Augen nach einer gewissen Zeit an die Dunkelheit gewöhnen? Ich blinzelte ein paar mal und fand heraus, dass es gar keinen Unterschied machte, ob ich die Augen schloss oder offen
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