Der Fluch der Makaá
erschrocken auseinander, um dann, als die Luft wieder rein war, ebenso rasch wieder zu den Kräckern zurückzukehren. „Ja, ihr Süßen, so was Leckeres hattet ihr schon lange nicht mehr, was?“, kicherte Oliver vergnügt. „Langt nur tüchtig zu!“
„Sei nicht zu großzügig“, mahnte ich meinen kleinen Bruder nach einem kritischen Blick auf unsere Vorräte. „Ab sofort wird nur noch untereinander geteilt. Und die Selbstbedienung für das Krabbelvieh ist gestrichen!“
Anstelle der Kräcker hatten wir jeder ein Stückchen Wurst gegessen und etwas Wasser getrunken. Zwar gab es noch ein paar Sandwiches und ein paar Tüten Salzgebäck, doch wir alle sahen ein, dass wir sparsamer mit unseren Lebensmitteln umgehen mussten. Noch konnten wir nicht abschätzen, wie weit der Weg sein würde, der vor uns lag.
„Also, kommt, lasst uns keine Zeit vergeuden“, rief ich, nachdem alle Sachen wieder verschnürt und verpackt waren. Die ersten Sonnenstrahlen lockten uns bereits zum nächsten Tagesmarsch. Vielleicht war es der Letzte im Urwald. „Auf geht’s.“
In der Kühle des Morgens kamen wir gut voran, was meine Stimmung erheblich hob. Nach dem Schrecken der frühen Morgenstunden entpuppte sich die Zeit nach Sonnenaufgang als wahrhaft paradiesisch. Der Urwald glich einem bezaubernden Märchenwald: Kristallklare Tautropfen hatten sich in riesigen, kelchartigen Blüten gesammelt, welche bunte Tupfer auf die grünen Wände malten. Ein feuchter Nebel, wie graue Farbe mit einem breiten Pinselstrich verwischt, verschleierte den moosigen Boden. Unwirklich und feenhaft mutete die Umgebung an. Dieses Gefühl wurde insbesondere verstärkt, als ein fremdartiger Vogel mit klarem Klang ein Lied anstimmte, das so geheimnisvoll und schön war, dass man gleichzeitig lachen und weinen wollte. Ich wünschte, der Gesang würde niemals aufhören, und als er schließlich verstummte, fand ich es gerechtfertigt, dass ein leichter Wind die Blätter wie zum Beifall rauschen ließ.
Auf unserem Weg Richtung Flughafen hinderte uns einige Male ein Felsbrocken am Weiterkommen, und je nachdem wie groß er war und wie geschickt wir uns anstellten, umgingen wir ihn oder kraxelten über ihn hinweg. Oliver war natürlich stets für die letztere Option. Sobald er irgendetwas erblickte, worauf man klettern konnte (abgesehen von den vielen Bäumen um uns herum), hatte er plötzlich alle Strapazen vergessen, über die er sich sonst recht gerne beschwerte, und die ach so müden Beinchen waren flink und munter wie eh und je. Oftmals mussten Robert und ich seinen Übermut bremsen, wenn uns ein Aufstieg zu gewagt erschien – manche Felsen waren einige Meter hoch. Oliver zog dann einen Schmollmund und ließ sich nur widerwillig auf einen Umweg ein. Natürlich vergaß er dabei nicht zu erwähnen, wie blöd er doch alles fand, und wie dringend er jetzt eine Pause bräuchte.
„Stell dich nicht so an, Oliver“, mahnte ich meinen kleinen Bruder und erlaubte ihm die Pause nicht.
„Ich stell mich nicht an“, erwiderte Oliver gereizt und stemmte seine kleinen Fäuste in die Hüfte. „Ich sag nur, wie es ist: es ist heiß, ich habe Hunger, meine Beine sind schwer, die Mückenstiche jucken, es kommen immer neue hinzu, und wenn du es genau wissen willst: der Wald nervt.“
„Also gut. Fünf Minuten“, willigte ich ein. Oliver hatte ja recht. Im Laufe des Vormittages hatte die drückende Hitze ihren Weg in die schattigen Wälder zurückgefunden und schuf eine Art Sauna, die bei jeder Bewegung Schweißausbrüche verursachte.
Die Mücken fühlten sich in diesem Gewächshausklima pudelwohl. Besonders an abgelegenen Tümpeln, in denen das Wasser brach lag, feierten sie ihre Feste. Anstelle mit Wein anzustoßen, tranken sie unser Blut. Ich bin mir sicher, sie hatten uns bereits von Weitem gerochen und sämtliche Verwandte und Freunde zum Festschmaus eingeladen. In fiebrigem Wahn stellte ich mir vor, wie die kleinen Biester sich unterhielten. „Oh, sieh mal da, Schnaki, eine echte Melanie Feldmann… Sollen wir die mal probieren?“ „Habe ich doch schon, Mücki, aber ich kann sie dir sehr empfehlen, ein guter Tropfen!“ „Und was ist mit mir?“, fragte das Mückenkind. „Du bist noch zu klein, such dir einen der jüngeren Jahrgänge aus. Da wäre einmal Robert, aber vielleicht nimmst du doch lieber Oliver, der ist wirklich süß!“
Die fünf Minuten waren noch nicht um, da befanden wir uns schon wieder auf den Beinen. Die Insekten hatten uns keine
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