Der Fluch der Maorifrau
für den Bruchteil einer Sekunde aussetzen. Noch mehr konnte sie nicht verkraften. Was gab es denn nun noch? Sie sah den Anwalt ängstlich an.
John hielt ihrem Blick stand, griff erneut nach dem Testament und las mit seiner ruhigen Stimme aus dem Letzten Willen seiner Mandantin vor. »Pakeha, mein Anwesen bei Tomahawk (Ocean Grove), erbt allein meine Tochter Sophie.«
Er legte eine Pause ein, bevor er erklärte: »Das Testament ist unterschrieben von Emma de Jong, geborene McLean.«
»Das glaube ich jetzt nicht!«, brachte Sophie tonlos heraus.
»Was? Dass Ihre Mutter ein Haus besitzt?«
»Das nicht und dass sie eine geborene McLean ist, schon gar nicht. Meine Mutter hat immer behauptet, sie heißt Wortemann und dass wir aus einer Nebenlinie dieser Hamburger Reederfamilie stammen. Sie hat mich stets in dem Glauben gelassen, dass ihre Eltern Deutsche waren, aber McLean, das klingt, das klingt -«
»-schottisch«, ergänzte John.
»Schauen Sie mal ins Telefonbuch! Das ist kein seltener Name hier in Dunedin. Ich kenne allein drei davon«, pflichtete Judith ihm bei.
»Ja, toll. Was ein Trost! Wissen Sie, was das heißt? Sie hat mich belogen und betrogen! Ein Leben lang. Mir wichtige Dinge verheimlicht und mich an der Nase herumgeführt. Und wozu?« Sophie war laut geworden.
»Ich kann mir vorstellen, wie Ihnen zumute ist, aber ich hatte keine andere Wahl, als Ihnen die Wahrheit zu überbringen«, erklärte John beinahe bedauernd und legte einen Schlüssel vor Sophie auf den Tisch.
»Das ist für Ihr Haus. Wenn Sie es jetzt besichtigen wollen, fahre ich Sie hin.«
»Danke bestens, aber Sie werden verstehen, dass ich es vorziehe, im Hotel zu übernachten. Es ist alles schon fremd genug, und nun auch noch ein wildfremdes Haus. Nein, auf keinen Fall. Aber wenn Sie mich jetzt bitte ins Kingsgate bringen würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ich kann nicht mehr. Und wenn ich es jetzt an Ihnen beiden ausgelassen habe, dass ich nicht mehr weiß, wer ich bin, dann bitte ich um Entschuldigung.«
»Schon gut«, meinte John besänftigend und warf Judith einen aufmunternden Blick zu.
»Sie können aber mit zu mir nach Hause kommen. Ich würde etwas kochen für uns drei«, schlug Judith nun vor.
Die beiden sind also wirklich ein Paar, schoss es Sophie durch den Kopf, ein schönes Paar! Es war rührend zu sehen, wie sie versuchten, ihr zu helfen, aber Sophie wollte jetzt nur noch allein sein. Sie hatte das Gefühl, dass das Gerüst ihres Lebens zusammenkrachte und sie unter den Trümmern begrub.
»Ich habe so viel für Weihnachten eingekauft, und nun ist mein Freund einfach zum Mount Cook abgehauen, und ich sitzen auf all dem schönen Essen.«
Ihr Freund? Also gehören der Anwalt und seine Partnerin doch nicht zusammen, fuhr es Sophie durch den Kopf. Egal, was geht mich das an!
»Das ist sehr nett von Ihnen, aber ich kann nicht. Nach allem, was passiert ist. Ich weiß ja nicht mal mehr, wie ich heiße. Ich bin vollkommen durcheinander. Ich glaube, ich muss das alles erst in Ruhe begreifen. Wenn es mir morgen besser geht, dann würde ich gern auf Ihr Angebot zurückkommen.«
»Prima!«, antworteten Judith und John wie aus einem Mund.
Sophie nahm die hölzerne Kiste vom Tisch, steckte den Schlüssel ein und folgte dem Anwalt, der sofort aufgesprungen war, zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um. »Danke, für das Kleid, Misses Palmer, und überhaupt für alles«, erklärte sie an Judith gewandt.
»Nicht der Rede wert!« Die junge Frau lächelte verständnisvoll.
Wortlos fuhren sie durch Dunedin. Stumm starrte Sophie auf die Kiste auf ihrem Schoß, die wie eine zentnerschwere Last auf ihr lag, obwohl sie in Wirklichkeit gar nicht so schwer war. Dann hielt der Wagen.
John Franklin nahm ihr Gepäck aus dem Kofferraum und begleitete Sophie bis zu ihrer Zimmertür. Dort verabschiedete er sich mit den Worten: »Sie können sich jederzeit bei mir melden, wenn Sie mich brauchen. Und das sage ich nicht nur so daher. Sie brauchen jetzt ganz viel Ruhe! Schlafen Sie sich erst einmal richtig aus. Und wenn ich nichts Gegenteiliges höre, hole ich sie morgen um achtzehn Uhr zum Dinner ab.«
»Danke. Auf Wiedersehen, Mister Franklin!«, hauchte Sophie, sichtlich erschöpft.
John Franklin zögerte noch, sich umzudrehen und zu gehen. Er räusperte sich verlegen. »Wir haben ganz vergessen, bei der Polizei vorbeizufahren. Schaffen Sie das noch, oder warten wir lieber bis morgen?«, fragte er beinahe entschuldigend.
»Das
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