Der Fluch der Maorifrau
Geschmack, wie er sich eingerichtet hat, schoss es Sophie durch den Kopf.
Der Anwalt führte sie von einem Raum zum anderen. Sie hatte den Eindruck, dass er Zeit gewinnen wollte. Ihm schien das, was er nun zu erledigen hatte, nicht unbedingt leichtzufallen. Diese Kanzleibesichtigung diente eindeutig der Ablenkung. Das spürte Sophie genau, aber sie ging widerspruchslos darauf ein, wenngleich ihre Anspannung beinahe unerträglich geworden war.
»Sie haben ja viele Bücher!« staunte sie, als sie die Bibliothek betraten. Ihr lag bereits auf der Zunge, dass ihr Verlobter auch Anwalt sei, aber nicht ein Bruchteil von diesen Mengen an Büchern besitze, aber da kam John ihr zuvor.
»Sehen Sie, wir haben ein anderes Rechtssystem als Sie. Bei uns herrscht das Fallrecht. Das heißt, in jedem dieser Bücher finden Sie Fälle, die einmal entschieden wurden. An diesen Präzedensfällen orientieren wir uns. Deshalb diese Berge von Büchern.«
Er lächelte sie an. Sophie bemühte sich ebenfalls um ein Lächeln, aber es wollte ihr nicht gelingen. Sie spürte, wie sie vor innerer Unruhe zitterte. Lange würde sie bei diesem Ablenkungsmanöver nicht mehr mitmachen.
»Könnten wir vielleicht anfangen?«, bat sie leise.
Franklin blieb ihr eine Antwort schuldig, denn nun erklang hinter ihnen eine weibliche Stimme.
»Guten Tag, Frau de Jong!«
Sophie drehte sich um. Eine dunkelhaarige, fremdartig aussehende Frau mit einem dunklen Teint - etwa in ihrem Alter - trat auf sie zu und reichte ihr die Hand. Was für eine aparte Schönheit!, dachte Sophie.
»Das ist meine Partnerin, Judith Palmer«, sagte John Franklin.
Die beiden sind bestimmt ein Paar, schoss es Sophie durch den Kopf.
Judith erklärte nun mitfühlend: »Es tut mir so leid für Sie. Schade, dass dieser traurige Anlass Sie in unser Land führt.« Dabei holte sie hastig ein Paar Sandalen und ein Kleid aus einer Tüte hervor und drückte sie Sophie in die Hand. »Ich hoffe, das Kleid gefällt Ihnen. Es steht Ihnen bestimmt besser als mir. Ist mehr etwas für Blonde.«
Sophie betrachtete das hellblaue Sommerkleid unschlüssig, aber als Judith ihr den Weg zur Toilette wies, folgte sie ihr widerspruchslos. Sobald sie allein war, schälte sie sich ungeduldig aus dem Winterkostüm. Es war angenehm, in das leichte Sommerkleid zu schlüpfen. Sophie wusch sich das verquollene Gesicht mit kaltem Wasser, zog die Strümpfe aus und schlüpfte in die Sandalen, die ihr gut passten. Sie fühlte sich fast wie neugeboren, als sie zu den anderen zurückkehrte.
»Ich hatte leider nichts Schwarzes«, erklärte Judith entschuldigend.
»Macht nichts. Das brauche ich erst zur Beerdigung. Und das wird ja noch ein wenig dauern, bis ich mit ihr zurück in Deutschland bin«, erklärte Sophie mit fester Stimme.
Täuschte sie sich, oder warfen sich Judith und Frank skeptische Blicke zu? Sophie begann unwillkürlich zu zittern. Es lag Spannung in der Luft.
Als Sophie dem Anwalt und seiner Partnerin wenig später bei einem Glas Wasser im Konferenzraum der Kanzlei gegenübersaß, hatte sie sich wieder gefangen. Sie hoffte inständig, dass das Rätselraten bald ein Ende haben würde.
Der Anwalt war nun sichtlich nervös. Er räusperte sich mehrmals, bevor er zu reden begann. »Sie wissen ja bereits, dass Ihre Mutter mich aufgesucht hat, um ihr Testament zu ändern, und mir für den Fall ihres Ablebens Unterlagen für Sie ausgehändigt hat. Das war erst letzte Woche. Da erzählte sie mir, dass sie nach Deutschland zurückkehren wolle. Sie ließ mich wissen, dass ich als Erster von ihrem Tod erfahren solle, was auch immer geschehen würde, und dass mir die Aufgabe obliege, Ihnen die traurige Nachricht zu überbringen und Sie zu bitten, nach Dunedin zu reisen.« Ihm war anzusehen, wie wenig ihm die Rolle behagte.
»Ich verstehe das nicht. Auch wenn sie in Deutschland gestorben wäre? Was hätte ich denn dann hier gesollt? Was hat sie sich bloß dabei gedacht?« Sophies Stimme klang trotzig.
»Auch dann wäre ich der Testamentsvollstrecker gewesen, wobei Ihre Mutter, als sie unsere Kanzlei aufsuchte, natürlich hoffte, dass mein Vater Derek noch lebt. Er war damals mit dem Fall betraut und hat auch all die Jahre ihr Erbe verwaltet. Sie war untröstlich, als ich ihr mitteilen musste, dass mein Vater vor drei Jahren gestorben ist.«
»Fall? Erbe? Verzeihen Sie, aber ich kann Ihnen nicht ganz folgen«, erklärte Sophie.
»Das glaube ich Ihnen sofort. Mir ist auch nicht wohl in meiner Haut. Ich
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