Der Fluch der Maorifrau
er würde sich über sie beugen und sie küssen. Er sprang auf und zog sich wieder an. Sophie ließ sich mehr Zeit, vor allem, weil sie in der Ferne eine Pinguinkolonie zu erkennen glaubte.
»Komm, wir gehen etwas essen!«, schlug John nun vor, und da erst spürte Sophie ihren leeren Magen.
Im Pub in St Kilda war der Teufel los. Sophie und John setzten sich nach draußen unter eine Markise. Die Besitzerin, eine grauhaarige alte Frau, die schon etwas gebückt ging, schlurfte missmutig an den Tisch, nahm mürrisch die Bestellung entgegen, aber dann blieb ihr Blick an Sophie hängen, und ihr Gesicht hellte sich auf.
Mit krächzender Stimme murmelte sie: »Entschuldigen Sie, dass ich Sie einfach anspreche, aber Sie sind Kate wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie sind doch bestimmt eine McLean, nicht wahr?«
Sophie nickte schwach, und ehe sie sich versah, stammelte die alte Frau gerührt: »Wir haben ja alle von Emma gehört, und es tut uns so leid ...«
»Haben Sie meine Mutter gekannt?«, fragte Sophie heiser.
Ein Leuchten huschte über das Gesicht der Alten. »Aber natürlich, seit sie ein kleines Mädchen war. Ich habe auf sie aufgepasst, wenn sie im Sommer hier war. Ich war so geschockt, als das Unfassbare geschah. Sie muss wirklich sehr krank gewesen sein, um so etwas zu tun ... Ach, wir sprechen besser nicht davon! Lassen wir die Vergangenheit ruhen.«
Sophie wurde kreideweiß. Diese Frau wusste anscheinend etwas über Emma. Kannte sie gar ihr Geheimnis? Sie musste also nur fragen: Dann kennen Sie sicher auch Thomas Holden? Es lag ihr schon auf der Zunge, aber da traf sie ein warnender Blick von John, der ihr abzuraten schien. Sophie kämpfte mit sich. Es wäre so einfach, doch da zupfte John sie am Ärmel und raunte: »Ich habe doch keinen Appetit. Lass uns gehen!«
Hastig verabschiedeten sie sich von der alten Dame.
»Ich bin sehr stolz auf dich!«, bemerkte er und ergänzte: »Und ich glaube, deine Mutter wäre das auch.«
»John!«, bat sie nun, während sie zum Strandhaus zurückfuhren. »Ob du mir meine Sachen aus dem Hotel herbringen würdest? Ich habe das Gefühl, ich muss die Aufzeichnungen meiner Mutter in Pakeha zu Ende lesen.«
»Wird erledigt!«, erwiderte John prompt und hielt vor dem Haus an. Etwas in ihr hätte ihn gern mit ins Haus genommen, aber ein anderer Teil scheute sich vor Komplikationen. Für die Liebe war im Moment kein Platz in ihrem Leben.
John erlöste sie von weiteren Gewissensqualen. »Ich fahre dann mal. Morgen schaue ich mit deinen Sachen vorbei. Genügt das, oder soll ich lieber nachher noch einmal wiederkommen?«
Nachher!, verlangte ihr Körper, aber ihr Verstand wollte das Gegenteil.
»Nein, nein, das genügt. Bis morgen, John! Und danke fürs Bringen«, erwiderte sie schnell. Ihr Herz klopfte bis zum Halse, als sie ausstieg.
Sie wollte gerade die Beifahrertür hinter sich zuschlagen, als John rief: »Oh, bevor ich es vergesse. Ich habe gestern Nacht im Archiv gestöbert und den Fall Philipp McLean tatsächlich gefunden.«
Sophie ging zur Fahrertür hinüber. »Und, warum hat er so wenig bekommen?«
John runzelte die Stirn. »Ein fragwürdiges Urteil, in der Tat. Man hat dem Angeklagten Glauben geschenkt. Er hat behauptet, er habe den Lampenfuß in dem Augenblick zufällig in der Hand gehalten. Er habe niemals zuschlagen wollen, aber seine Frau habe ihn provoziert. Angeblich ist sie unflätig geworden, weil sie unter dem Einfluss eines obskuren Frauenkreises stand, der sie gegen ihren Mann aufgehetzt hat und in der widernatürliche Beziehungen gepflegt wurden ...«
»Blödsinn!«, entfuhr es Sophie empört. »Anna und die anderen konnten doch nichts für Melanies Tod! Und sie hatten nichts miteinander. Das war Mord! Begangen von ihrem eigenen Mann!«
John sah sie erstaunt an. »Du scheinst den Fall ja bestens zu kennen.«
»Anna ist eine meiner Vorfahrinnen, und Melanie war ihre beste Freundin, die von ihrem Ehemann misshandelt worden war. Der muss einen Verbrecher zum Anwalt gehabt haben, der Mistkerl.«
John räusperte sich verlegen. »Ich muss zu meiner Schande gestehen, der Verbrecher war ein Cousin meines Urururgroßvaters mütterlicherseits. Soll ein übler Bursche gewesen sein, dieser Albert McDowell, erzählt man sich. Der hat ja sogar geschafft, dem Gericht weiszumachen, dass es quasi ein Unfall gewesen ist. Und er ihr den Schädel versehentlich mit dem Lampenfuß gespalten hat ...« John unterbrach sich.
Sophie sah ihn an, als sähe sie
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