Der Fluch der Maorifrau
gegeben. Sie sagte wortwörtlich: ›Er ist in Dunedin geboren, aber seine Geburt wurde den Behörden nicht gemeldet. Da werden Sie also nicht fündig.‹ Mehr möchte ich dir aber nicht verraten.«
»Was hat sie sich nur dabei gedacht? Dass ich Spaß daran habe, ihre Vergangenheit wie ein Puzzle zusammenzusetzen?« Sophie spürte wieder diese Wut in sich aufsteigen. »Meine Mutter sagte doch, ich solle es nicht aus schnöden Papieren erfahren, wer dieser Mann ist, sondern es fühlen. Und das könne ich nur, wenn ich ihre Geschichte in Ruhe lesen würde. Oder?«
John nickte gedankenverloren. »So etwas in der Art hat sie gesagt. Ja, ich erinnere mich.«
Sophies Augen begannen aufgeregt zu funkeln. »Und weißt du, was das bedeutet?«
»Nein!« John schaute sie fragend an.
»Das heißt, dass Emma ihre Geschichte aufgeschrieben hatte, bevor sie dir die Aufzeichnungen gebracht hat! Und dass in eurer Kanzlei die beschriebenen Seiten gegen leere ausgetauscht wurden. Verstehst du?«
»Ich gebe dir in einem Punkt recht. Ich glaube auch, dass deine Mutter ihre eigene Lebensgeschichte niedergeschrieben hat, aber wäre es nicht möglich, dass sie die woanders hinterlegt hat? Weil sie wusste, dass du versucht sein würdest, das Pferd vom Schwanz aufzuzäumen?«
»Du meinst, sie hat gewusst, dass ich die ganze Zeit wie eine Irre nach diesem Holden fahnde?«
John lächelte: »Ja! Glaubst du, ich merke nicht, dass du sogar mich verdächtigst? Ich habe den Eindruck, deine Mutter hat dich über alles geliebt und wollte dir noch etwas mitgeben für deinen Lebensweg. Sei also nicht allzu hart in deinem Urteil. Ich vermute, sie wollte, dass du es zum rechten Zeitpunkt erfährst.«
»Und was rätst du mir?« Sophie war knallrot angelaufen.
»Ehrlich?«
»Ja, ehrlich.«
John zögerte, aber dann sagte er, während er sie mit ernstem Blick ansah: »Ich würde dir raten, die Anweisung deiner Mutter zu befolgen und alles geduldig zu lesen. Dann wird sich sicher auch das letzte Geheimnis lüften. Glaub mir!«
»Okay, morgen rufe ich meinen Vorgesetzten an und bitte um Sonderurlaub. Um meinen Lebensunterhalt muss ich mir ja keine Sorgen mehr machen.« Dann fragte sie John unvermittelt: »Hat man dir damals verraten, wer deine leiblichen Eltern sind?«
»Oh nein, sie haben mir weismachen wollen, sie wüssten es nicht. Man hätte mich als Baby angenommen. Und ich habe alles versucht, um es herauszufinden. Jeden habe ich verdächtigt, meine Mutter zu sein. Eine Zeitlang habe ich mir sogar eingebildet, dass eine durchgedrehte Mandantin meine Mutter sei. Es war furchtbar. Das bekam mein Vater mit, und er sagte eines Tages, kurz bevor er starb: ›Mach dich nicht verrückt, mein Junge. Du wirst es noch früh genug erfahren. Großes Ehrenwort! Die Lösung liegt näher, als du denkst.‹«
»Und? Hast du es erfahren?«
John holte tief Luft. »Ja, am Abend von Vaters Beerdigung. Da hat meine Mutter es mir gesagt. Er hätte es zu Lebzeiten nicht ertragen, dass ich es erfuhr. Dabei war es ganz einfach und erklärte meine große Verbundenheit mit meinen Eltern und die frappierende Ähnlichkeit zwischen meinem Vater und mir. Ich war der Sohn ihrer drogenabhängigen Tochter. Ich war also ihr Enkelkind, nicht ihr Sohn. Gehörte also irgendwie schon zur Familie.«
Mit diesen Worten sprang der Anwalt von seinem Korbsessel auf, zog auch Sophie von ihrem empor und sagte: »Und jetzt wollen wir mal schauen, was das Leben uns heute zu bieten hat! Die Vergangenheit ist nicht mehr zu ändern, aber dieser Tag ist noch jung.«
Sie wanderten erst am Meer, dann auf dem Klippenweg entlang, jeder in eigene Gedanken versunken, bis unter ihnen ein menschenleerer Strand auftauchte.
»Schau nur!«, rief Sophie entzückt aus, als sie dort eine Pinguinfamilie erblickte. Über einen Wanderweg gelangten sie hinunter ans Wasser, aber von den Pinguinen keine Spur.
»Wer als Erstes im Wasser ist!«, rief John übermütig, während er sich bereits das Hemd aufknöpfte.
»Das ist unfair!«, protestierte Sophie. Dennoch zog sie, ohne zu zögern, ihr dünnes Sommerkleid aus. Juchzend hüpfte sie in die leichten Wellen. Es war ein Schock. Das Meer war erbärmlich kalt, aber sie verzog keine Miene, sondern schwamm neben John her, als wäre sie in einen warmen Pool gesprungen. Zurück am Strand, legten sie sich nass und spärlich bekleidet, wie sie waren, nebeneinander in den Sand.
»Wir dürfen hier nicht verbrutzeln«, warnte John, als Sophie sich gerade wünschte,
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