Der Fluch der Maorifrau
gespenstisch.
»Das sind die Sachen, mit denen Bill als Kind gespielt hat!«, erklärte Nora beinahe entschuldigend.
Kate war erleichtert. Das erklärte alles.
»Du solltest dich jetzt schnell umziehen. Vater wartet nicht gern. Er kann es kaum erwarten, dich kennenzulernen. Du musst wissen, Bill ist sein Liebling. Von den Jungs jedenfalls. Wir Mädchen zählen nicht. Wir haben es nie anders kennengelernt. Meine Schwester leidet schon ihr ganzes Leben lang darunter, obwohl sie längst verheiratet ist. Aber mir macht das nichts aus. Na ja, ich war auch immer die Kleine, und der alte Brummbär hat mich ihr vorgezogen. Ich bin gerade erst vor einem Jahr ausgezogen. Mein Mann konnte leider nicht zu deinem Empfang da sein, aber du wirst ihn kennenlernen, sobald du uns besuchst ...«
Es klopfte. Ein dunkelhäutiger junger Mann trat ein und fragte, wo er ihren Kleiderkoffer abstellen solle.
»Vielen Dank! Bringen Sie ihn bitte ins Schlafzimmer!«, sagte sie freundlich. »Alles Weitere solltest du mir unbedingt später erzählen, Nora. Ich muss schauen, was ich auf die Schnelle zum Anziehen finde.«
Nora folgte ihr. Mit ihrer Hilfe wuchtete Kate den Koffer aufs Bett, um darin nach einem passenden Kleid zu suchen. Sie entschied sich für eine Seidenrobe in Rosa und fragte zur Sicherheit die Schwägerin, was sie davon hielt.
»Das ist wirklich wunderschön!«, rief Nora aus, raffte die Röcke ihres resedagrünen Kleides, mahnte noch einmal zur Eile und ging in den Salon.
Kate schälte sich hastig aus ihrer Reisekleidung und tauschte sie gegen das Seidenkleid aus. Schließlich fuhr sie sich noch einmal flüchtig mit der Hand durch das zerzauste Haar, denn Zeit für große Toilette blieb ihr nicht mehr. Sie folgte ihrer Schwägerin mit gemischten Gefühlen. Sobald sie Bills Reich verlassen hatten, beschlich sie der Eindruck, dass hier die Zeit stehen geblieben war. Auf den üppig verzierten dunklen Möbeln lastete eine Schwere, die ihr auf das Gemüt drückte.
»Wer hat das Haus eingerichtet?«, fragte Kate leise.
»In diesem Teil hat früher mein Großvater gelebt. Und der hat nach dem Tod seiner Frau all ihre Möbel hinausgeworfen und wahllos neue gekauft, aber er hatte nicht das Händchen, Häuser wohnlich zu gestalten wie unsere Großmutter.« Nora flüsterte, während sie die Treppe hinunterstiegen. Plötzlich fiel Kate ein, dass Bill einmal gesagt hatte: »Über die Großmutter darf in unserem Hause nicht gesprochen werden.«
»Sag mal, Nora, was hat deine Großmutter verbrochen, dass man sie nicht erwähnen darf?«, wollte Kate wissen.
»Die Frage wird in diesem Hause nicht geduldet!«, schnarrte eine tiefe Stimme hinter ihnen.
Erschrocken fuhr Kate herum. Sie sah in die vor Zorn funkelnden braunen Augen eines stattlichen Mannes mit weißem Haar.
Ohne ihr die Hand zu reichen oder sie anders zu begrüßen, zischelte er: »Hören Sie, Miss McDowell, über meine Mutter wird im Hause McLean nicht gesprochen. Haben Sie verstanden? Tun Sie das nie wieder! Hier gelten meine Gesetze. Und jetzt lassen Sie uns essen.«
Sie spürte, wie kalte Wut über sein Benehmen in ihr emporkroch. Obwohl ihr Bills mahnende Worte noch in den Ohren klangen, hörte sie sich spitz sagen: »Darf ich annehmen, dass Sie der Vater meines Mannes sind? Dann darf ich mich vielleicht vorstellen. Kate McLean, Ihre Schwiegertochter!« Damit streckte sie ihm die Hand entgegen, die er ignorierte. Im Gegenteil, er drückte sich an ihr vorbei und verschwand wortlos.
»Oje«, seufzte Nora. »Das war kein guter Einstand.«
»Das finde ich auch. Er hätte sich wirklich besser benehmen können«, erwiderte Kate, und es tat ihr kein bisschen leid, dass ihr Mundwerk ihren Gedanken wieder einmal vorausgeeilt war. Dieser Mann war äußerst unhöflich, und das würde sie nicht klaglos hinnehmen. Ach, Bill, wenn du bloß schon hier wärest!, dachte sie wehmütig.
Aber da flüsterte Nora ängstlich: »Du solltest dich bei ihm entschuldigen. Er kann Widerworte nicht leiden, schon gar nicht von Frauen!«
»Dann wird er es eben lernen müssen«, erwiderte Kate erbost. Bill hatte sie gewarnt, dass ihr Vater altmodische Ansichten vertrat. Gut, denen hätte sie auch nicht unbedingt widersprochen, aber dass er sie nicht einmal begrüßte und bei ihrem Mädchennamen nannte, obwohl er wusste, dass sie Bills Frau war, das durfte sie sich nicht gefallen lassen.
»Ich wollte es auch nur gesagt haben«, erklärte Nora kleinlaut und öffnete die Tür zum
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