Der Fluch der Maorifrau
fröstelte sie in ihrer weißen Bluse und ihrem bequemen Glockenrock aus dünnem Stoff, einer Kleidung, die in diesen Breiten offensichtlich nicht angemessen war. Sie hatte auf Samoa in der Zeitung gelesen, dass die Damen hier sogar Jacketts trugen; das würde wohl eine ihrer ersten Anschaffungen werden.
Als die Kutsche endlich eintraf, sprang eine junge dunkelhaarige Frau stürmisch heraus und fiel Steven um den Hals. Kaum hatte sie ihn losgelassen, musterte sie Kate wissend. »Sie müssen Bills Frau sein!«, rief sie und umarmte auch Kate herzlich. Sie wirkte sehr aufgeregt. »Ach, der Kleine!«, sagte sie nun und rannte zur Kutsche zurück. Als sie wieder erschien, hatte sie ein mürrisch dreinblickendes, blond gelocktes Kleinkind auf dem Arm.
»Na warst du auch brav?«, fragte Steven den Kleinen, ohne ihn zu berühren.
Kate stockte der Atem. Wenn das sein Sohn war, wieso riss er ihn nicht an die Brust und herzte ihn?
Der kleine Junge, den Kate auf höchstens drei Jahre schätzte, gab keinen Laut von sich, sondern sah nur aufmerksam von seinem Vater zu Kate.
»Ach, verzeihen Sie, ich habe mich ja gar nicht vorgestellt. Ich bin Nora Varell, die kleine Schwester von Bill. Deine Schwägerin«, erklärte die junge Frau jetzt. »Aber nun kommt doch bitte, Vater kann es schon gar nicht mehr erwarten.«
»Wie rührend! Er sehnt sich sicher unendlich nach mir«, bemerkte Steven spitz, doch seine Schwester rief nur: »Ach, Steven!«
Mit dem Kind auf dem Arm stieg Nora zurück in die Kutsche. Als das Gepäck verstaut war und der Wagen sich in Bewegung setzte, sprudelten die Worte nur so aus Noras Mund. »Oh, du bist ja noch hübscher, als Bill es in seinem Brief geschildert hat. Wir waren so gespannt. Eine Schottin! Was meinst du, wie Vater sich gefreut hat. Wie war die Reise? Sag mal, stimmt es, dass auf Samoa die Menschen ...« Sie hielt sich kichernd die Hand vor den Mund, bevor sie fortfuhr. »... Ich meine, dass sie nackt herumlaufen? Also, ich finde das alles wahnsinnig aufregend ...«
»Nora! Halt doch einfach mal dein Plappermaul!«, unterbrach Steven seine Schwester herablassend.
Nora lief rot an und senkte den Kopf.
»Nein, sie sind nicht nackt«, erklärte Kate freundlich. »Sie tragen den Lava-Lava, einen Männerrock, und auch den Oberkörper bedecken sie zunehmend, seit sie Kolonialherren haben. Selbst die schönen, muskulösen braunhäutigen Männer.« Letzteres war an die Adresse ihres ungehobelten Schwagers gerichtet, aber Steven zog nur verächtlich eine Braue hoch.
»Ach, das ist alles furchtbar aufregend. Wie hast du meinen Bruder kennengelernt?« Steven wollte etwas sagen, aber Kate kam ihm zuvor. »Ich wollte den Colonel sprechen, doch stattdessen war dein Bruder dort, und da habe ich mich auf den ersten Blick in ihn verliebt.«
Nora verdrehte verzückt die Augen. »Wie romantisch!«, seufzte sie.
Aus den Augenwinkeln beobachtete Kate das kleine blonde Kind. Es saß ganz still auf dem Schoß seiner Tante. Ein merkwürdiger Junge, dachte Kate, und noch befremdlicher fand sie Stevens Verhalten, der seinen Sohn gar nicht beachtete. »Wie heißt du denn?«
Der Kleine musterte sie stumm aus zusammengekniffenen Augen.
»Er heißt Walter, aber er ist sehr schüchtern. Komm, gib der Tante mal die Hand!« Mit diesen Worten nahm Nora die Hand des Kindes und streckte sie Kate entgegen.
Kate nahm das Händchen und sagte freundlich: »Ich bin Tante Kate!«
Der Junge zog seine Hand jedoch blitzschnell zurück und wandte sich abrupt ab.
»Na, wenigstens lässt er sich nicht von der Tante betören!«, ließ Steven bissig verlauten.
Nora sah verwirrt von ihrem Bruder zu Kate.
Keiner sprach mehr ein Wort, bis der Wagen endlich hielt.
Als Kate ausstieg, hatte der Regen aufgehört. Sogar ein paar Sonnenstrahlen fanden ihren Weg durch die Wolken, und am Horizont erhob sich ein Regenbogen. Wenn das kein gutes Omen ist!, ging es ihr durch den Kopf. Vor ihr lag ein großes Farmhaus, das fast wie ein kleines Schloss gebaut war, eingebettet in sattgrüne Wiesen, soweit das Auge reichte. Überall weideten Schafe. Unweit vom Haus stand eine riesige Scheune. Kate sog die frische Luft tief in die Lungen ein. Sie war frisch wie ein Gebirgsbach. Unverbraucht und keine Spur schwül. Ja, das war die Luft, die sie manchmal auf Samoa vermisst hatte. Und dieses Grün tat ihren Augen wohl. Dazu der köstliche Duft von Gras und Heu.
»Darf ich?«, fragte Steven scheinbar höflich und griff nach einer schweren Tasche,
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