Der Fluch der Maorifrau
die Kate eigenhändig aus der Kutsche hieven wollte. Sie ließ ihn gewähren. Nora war bereits mit dem Kind an der Hand vorgelaufen.
»Ist das wirklich dein Junge?« Kate konnte ihre Neugier nicht länger zügeln.
»Was dagegen?«, erwiderte er abweisend.
»Nein, es ist nur seltsam, dass du ihm so gar keine, verzeih mir, aber mir fällt nichts anderes ein, keine Liebe gibst. Sie zumindest nicht zeigst, denn lieben wirst du ihn ja.«
»Wie kommst du denn darauf, dass ich ihn liebe?« Stevens Ton klang provozierend.
»Weil jeder Vater seine Kinder liebt!«
»Dann bin ich wohl die Ausnahme!«, war die schroffe Antwort. Leiser fuhr er fort: »Ich habe seine Mutter nie geliebt und sie nur deshalb geheiratet, weil sie das Kind erwartete. Also, nenn mir einen einzigen Grund, warum ich diesen Bengel lieben sollte!«
Kate wusste nicht, ob er sie nur provozieren wollte oder diese grausamen Worte wirklich ernst meinte. Zuzutrauen wäre ihm beides, dachte sie.
»Und wenn es wirklich so wäre, warum willst du das Kind dann mit nach Samoa nehmen und nicht hier bei deiner Familie lassen, wo es Liebe erfährt?«
Steven lachte trocken. »Das würde ich liebend gern tun, aber mein Vater verlangt, dass ich mein Kind mitschleppe. Mein Bruder hat dir offenbar nicht alles erzählt. Vater will auch mein Kind nicht um sich haben. Er hätte mir Geld gegeben, damit ich in den Norden gehe, aber da kam ja der gute Bill auf die glorreiche Idee, aus mir einen Koprabauern und Kakaopflanzer zu machen. Er hat sogar etwas von seinem Vermögen beigesteuert, damit ich ja weit genug wegkomme von meiner Familie.«
»Das ist nicht wahr!«, widersprach Kate heftig. »Er will dir nur helfen. Das weißt du ganz genau! Hör endlich auf, dich selbst zu bemitleiden! Du verletzt in einem fort andere Menschen und wunderst dich darüber, dass sie dich nicht mögen.«
»Ach, was weißt du schon!«, schnaubte er verächtlich und zischelte: »Und jetzt kein Wort mehr darüber, wenn wir die ›heiligen Hallen‹ betreten.«
Die Haustür stand offen, und Steven bat sie schroff, ihr zu folgen. Beschämt betrachtete Kate ihre nagelneuen Knöpfstiefel, die sie sich eigens für die Reise gekauft hatte und die vollkommen verschmutzt waren, weil sie in eine Pfütze getreten war.
Der Eingangsbereich des Hauses wirkte düster und überladen. Vielleicht liegt es an den dunklen Holzvertäfelungen, überlegte Kate. Als sie hinter Steven die Treppe hinaufstieg, erhaschte sie einen Blick auf eine dunkle Anrichte im Flur, die voller Nippes stand. Nichts als Staubfänger, dachte Kate, denn auf Samoa war die Einrichtung zweckmäßig, aber niemals überladen gewesen. Im ersten Stock war es nicht viel besser, aber als sie um eine Ecke gingen, wurde es mit einem Mal lichter.
»Das ist Bills Reich!«, erklärte Steven und stellte ihre Tasche im Flur ab. »Diese Zimmer bewohnt er allein. Salon, Schlaf-, Ess- und Kinderzimmer. Vater hat alles schon so einrichten lassen, dass mein lieber Bruder hier mit seiner Familie leben kann. In einer halben Stunde wird gegessen. In diesem Hause wird immer pünktlich gegessen. Vater wird dich im großen Esszimmer erwarten. Ich würde mich allerdings vorher umziehen. Er ist da sehr eigen.« Mit diesen Worten entfernte Steven sich eilig.
Kate wollte gerade die Tür zum ersten Zimmer öffnen, als sie hinter sich ein Hüsteln hörte. Erschrocken drehte sie sich um. Es war Nora, die sie aufgeregt fragte, ob sie ihr etwas helfen könne.
»Ja, du kannst mir sagen, ob es stimmt, dass wir gleich essen und dass ich mich dazu umziehen sollte.«
»Ich habe gehört, was er gesagt hat. Es stimmt, aber du solltest dich nicht über seinen Ton ärgern. Seit Nellys Tod ist es noch schlimmer geworden. Jeden fährt er an, jeden bis auf unseren Vater. Doch nun folge mir, ich zeige dir alles! Das hier ist euer Esszimmer!«
Nora öffnete eine Tür, und Kate hatte das Gefühl, in eine völlig andere Welt einzutauchen. Ein schlichter heller Esstisch mit geschmackvollen Stühlen, eine Anrichte voller Geschirr, auf der jedoch nichts Unnützes herumstand. Dieser Raum war erfreulich einfach und doch stilvoll eingerichtet, ganz nach Kates Geschmack. Außerdem besaß er ein großes Fenster, durch das man einen Blick auf die unendliche grüne Weite hatte.
Auch der Schlafraum und der Salon begeisterten Kate. Als sie die Kinderzimmertür öffnete, wich sie allerdings zurück. Es gab ein Kinderbettchen, ein Schaukelpferd und jede Menge Spielzeug. Das wirkte
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