Der Fluch der Maorifrau
nichts mehr davon hören! Und es wäre mir sehr lieb, wenn du meinen Fall übernehmen könntest.«
Erst Judith' abweisendes Gesicht machte Sophie bewusst, was sie da gerade verlangt hatte.
»Tut mir leid. Natürlich kannst du unmöglich diesen Holden suchen, wenn es wirklich dein Tom ist. Warten wir es ab! Weißt du, was ich am liebsten machen würde?«
Judith zuckte mit den Achseln.
»Am liebsten würde ich morgen irgendwo in die Berge fahren und mir das Land ansehen. Ich brauche eine kleine Auszeit.«
Judith schwieg, aber in ihrem Kopf schien es fieberhaft zu arbeiten.
»Meine Großmutter macht gerade Urlaub in Queenstown. In einem Hotel direkt am Wakapitusee. Sie würde sich bestimmt über einen Besuch freuen. Was meinst du? Sollen wir sie überraschen?«
»Wenn sie das nicht nervt. Ich bin dabei!«
»Gut, dann rufe ich John an und sage ihm, dass ich morgen blaumache.«
»Sag mal, weiß John von Toms merkwürdigem Brief?«
»Nein, und mir geht es gerade genauso wie dir. Ich möchte einfach nur raus. Einmal durchatmen und dann mit klarem Kopf zurückkommen. Danach muss ich mit John darüber reden. Stell dir vor, er sucht den Erben wie ein Irrer, und ich ahne, wer er ist. Nein, so viel Vertrauen muss sein, aber erst einmal Erholung für das Baby. Wollen wir gleich morgen früh um sechs starten, damit wir etwas vom Tag haben? Ich hole meine Sachen und komme pünktlich zurück.«
»Judith, halte mich nicht für kindisch, aber der schwarze Jeep ist hier vorhin vor dem Haus aufgetaucht, hat gedreht und ist wieder weggebraust. Wenn ich ehrlich bin, habe ich Angst, hier allein zu übernachten.«
Judith sah Sophie durchdringend an. »Ich verstehe das doch. Aber wenn es wirklich Tom ist, dann brauchst du dich nicht zu fürchten. Er ist ein lieber Kerl in einer rauen Schale. Und ich bete, dass es für alles eine harmlose Erklärung gibt. Vielleicht hat er es für einen Mandanten auf sich genommen. Vielleicht ist dieser Holden sein Mandant, und er hat deine Unterlagen deshalb gestohlen. Für ihn. Und jetzt hat er Angst, dass ich ihm das nicht verzeihe ...« Nachdenklich hielt Judith inne. »Obwohl ich mir das eigentlich nicht vorstellen kann.«
»Bis wir nicht wissen, ob er überhaupt etwas damit zu tun hat, mach dir bitte keine Sorgen!«, erwiderte Sophie.
»Du hast recht. Pass auf, du packst jetzt deine Sachen, schläfst bei mir, und dann fahren wir morgen früh von Dunedin aus los.«
Als Sophie und Judith den Abend bei einem Glas Wein und dem herrlichen Blick über die Bucht von Otago ausklingen ließen, fühlte sich Sophie plötzlich selten ruhig und im Einklang mit sich selbst. Während sie sich bei ihrem ersten Besuch vor knapp einer Woche noch wie eine entwurzelte Fremde vorgekommen war, empfand sie nun beinahe so etwas wie Vertrautheit.
In der Nacht, als sie schließlich in Judith' Gästebett lag, stellte sie sich vor, wie es wohl für Kate sein würde, wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Opoho? Ob Bill McLean ein Nachkomme von Philipp, dem Ehemann und Mörder Melanie McLeans, ist?, fragte sie sich. Die Namensgleichheit kann doch kein Zufall sein. Es passte wie ein Puzzle zusammen. Steven, der ungeliebte Sohn! Wie hatte Bill gesagt? »Er sieht unserer Großmutter, über die aber nicht gesprochen werden darf, zum Verwechseln ähnlich. Deswegen lehnt ihn mein Vater ab.« Und dann Paulas Schreck, als Bill seinen Namen genannt hatte ...
Mit diesem Gedanken schlief Sophie ein, aber mitten in der Nacht erwachte sie von ihrem eigenen Aufschrei. Ihr Herz pochte wie wild, und sie war vor Angst wie gelähmt. Sie wusste nicht, ob sie immer noch träumte. Es war ein entsetzlicher Traum. Ein alter Mann schubste eine junge Frau auf die Straße. Die Frau war sie. In dem Augenblick raste ein schwarzer Jeep auf sie zu ...
Sophie war so aufgeregt, dass an Schlaf nicht mehr zu denken war.
Opoho, im November 1914
In Auckland verließ Kate das Schiff und bestieg ein kleineres Dampfschiff, das sie nach Dunedin bringen sollte. Steven hielt gebührenden Abstand zu ihr.
Strömender Regen empfing sie im Hafen von Otago. Die Kutsche, die sie nach Opoho bringen sollte, war noch nicht eingetroffen. Steven schlug vor, wenigstens so zu tun, als habe man die weite Reise einvernehmlich hinter sich gebracht.
Kate war dermaßen erschöpft, dass sie nur schwach nickte. Sie zurrte ihr Cape vor der Brust zusammen, denn es wehte ein eisiger Wind. Lange Jahre hatte sie sich nach einer echten Abkühlung gesehnt, doch nun
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