Der Fluch der Maorifrau
hinaus. Vielleicht kann ich wenigstens etwas für Melanies Kinder tun«, beschloss Anna. Klara begleitete sie.
Es war eine beschwerliche Fahrt über holprige Wege, bis die Kutsche bei Opoho oben auf einem Hügel mit herrlicher Aussicht über Wiesen und Felder eintraf. Anna bat den Kutscher zu warten und stapfte über einen vom Regen aufgeweichten Pfad zum Farmhaus der McLeans hinüber. Sie klopfte mehrmals, bis die Tür aufgerissen wurde und eine alte, grimmig dreinblickende Frau herausschaute.
»Was wollen Sie?«, schnauzte sie Anna an. »Sind Sie von der Zeitung?« Sie funkelte Anna aus kleinen Augen prüfend an. »Ich kann Ihnen gern die Wahrheit sagen. Mein Philipp ist ein guter Junge, aber dieses Weib hat ihn betrogen. Mit dem Lehrer der Kinder. Ja, so war es, aber er sitzt jetzt im Gefängnis. Das ist doch ein Skandal!«
»Entschuldigen Sie bitte«, unterbrach Anna den gehässigen Wortschwall der Alten und fügte mit fester Stimme hinzu: »Ich bin hier, um McLeans Kinder mit in mein Haus zu nehmen.«
»Mitnehmen? Was fällt Ihnen ein?«
Anna atmete einmal tief durch, bevor sie erklärte: »Ich war Melanies beste Freundin. Und ich habe ihr versprochen, dass ich mich um ihre Kinder kümmere, wenn sie jemals krank werden sollte ...« Anna stockte, weil sie einen dicken Kloß im Hals spürte.
Die Alte stierte Anna wutentbrannt an. »Sie sind das also?«, spuckte sie förmlich aus und trat bedrohlich einen Schritt auf Anna zu. »Sie haben Sie also mit diesem Unsinn gefüttert. Dass Frauen wählen sollen und so. Und Ihr eigener Mann ist deshalb weggelaufen, nicht wahr? Aber mein Sohn ist nicht so ein Feigling, dass er sich vor den Weibern fürchtet.«
In diesem Augenblick tauchten hinter ihr die drei Jugendlichen auf. Sie wirkten völlig verstört. Anna lächelte ihnen zu.
»Tante Anna, ich will zu meiner Mutter!«, schluchzte plötzlich die Jüngste und flüchtete sich in Annas Arm. Sie strich dem Mädchen über das Haar, doch schon riss die Alte ihr das Kind weg und murmelte: »Diese Frau werdet ihr nie wiedersehen. Sie ist an allem schuld.« Mit diesen Worten knallte die alte McLean Anna die Tür vor der Nase zu.
Ratlos drehte Anna sich um, und sie entdeckte Paul, Melanies ältesten Sohn, der vor der Scheune stand und offenbar alles genau beobachtet hatte. Anna fasste sich ein Herz. »Hallo, Paul!«, rief sie in seine Richtung.
Der junge Mann mit dem pechschwarzen Haar antwortete nicht, sondern starrte Anna nur finster an. Er mochte um die zwanzig sein, war hochgewachsen und breitschultrig und hatte Melanies schöne Gesichtszüge, nur dass sie bei ihm markant männlich ausgeprägt waren.
»Paul, es tut mir sehr leid!«, sagte Anna sanft, während sie einen Schritt auf ihn zumachte. Er aber hörte nicht auf, sie zu fixieren. Sie erschrak. In seinen Augen war nichts als Eiseskälte und Hass zu lesen. Anna seufzte bei dem Gedanken, wie schwer es wohl für einen jungen Erwachsenen sein musste, zu erfahren, dass der eigene Vater die Mutter erschlagen hat. Er braucht auch einen neuen Halt, dachte sie gerade, als sie etwas Feuchtes im Gesicht spürte. Noch wollte sie nicht glauben, was geschehen war, aber das hämische Grinsen des Jungen verriet ihr, dass sie sich nicht getäuscht hatte: Paul McLean hatte sie angespuckt.
Mit ihrem Handschuh wischte sie sich das Gesicht ab und fragte tonlos: »Warum?«
Paul musterte sie herablassend. »Weil ihr Weiber schuld seid«, spie er förmlich aus. »Ihr Weiber habt meine Mutter verdorben. Und Sie sind nie eine Freundin gewesen, sondern eine Verführerin. Ich weiß, was Sie mit Mutter gemacht haben. Vater hat es mir erzählt. Zu Ihrer Hure haben Sie sie gemacht! Und wenn Sie nicht sofort verschwinden, schlage ich Ihnen den Schädel ein.« Zur Bekräftigung seiner Worte griff er nach einem Spaten, der am Scheunentor lehnte.
Erst, als er damit gefährlich vor ihrem Gesicht herumfuchtelte, drehte sich Anna wortlos um und lief, blind vor Tränen, zurück zur Kutsche.
»Mama, was ist geschehen?«, rief Klara besorgt.
»Nichts, mein Engel«, antwortete sie tonlos.
Anna und die anderen Frauen ließen es sich nicht nehmen, geschlossen zu Melanies Beerdigung zu erscheinen. Philipp saß versteinert zwischen zwei Polizisten direkt vor dem Sarg. Auch seine Mutter vergoss keine Träne. Die Kinder hatte man gar nicht erst mitgebracht. Nur Paul hockte zusammengesunken in der ersten Reihe.
Der Chor begann zu singen. Anna und ihre Freundinnen hielten einander an den Händen und
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