Der Fluch der Maorifrau
bereithalten, Stirn abtupfen. Anna agierte wie in Trance. Doch die Hebamme schaute sie unentschlossen an.
»Tun Sie, was meine Tochter sagt!«, befahl sie ihr.
»Aber die Gefahr, dass sie stirbt, ist groß!«, flüsterte die Hebamme.
»Und wenn Sie es nicht tun?«
»Dann sterben beide!«
Anna wusste, dass sie gewonnen hatte. Die Hebamme atmete tief durch und machte ihr Werkzeug für einen Kaiserschnitt bereit.
In diesem Augenblick schrie Klara laut auf; ihr Kopf sackte leblos zur Seite.
Die Hebamme hielt inne, aber Anna flehte: »Machen Sie endlich, was meine Tochter verlangt!«
Klara lag mit weit aufgerissenen Augen leblos da. Anna erlaubte sich keine Regung. Weder den Schmerz noch die Verzweiflung, noch das Aufbegehren gegen den Tod, der längst zwischen ihnen weilte; sie hielt sich fest an Klaras eisernem Willen. Das Kind sollte leben!
Agatha machte einen sauberen Schnitt in Klaras Unterleib. Anna strich Klara derweilen über die Stirn. Der Schweiß war kalt. Ihre Tochter rührte sich nicht mehr. Anna suchte Klaras Puls. Vergeblich. Das Herz ihrer Tochter hatte aufgehört zu schlagen. Wenigstens wird sie nicht verbluten, schoss es Anna durch den Kopf, während sie die Zähne fest zusammenbiss, um nicht zu weinen.
»Ich schaffe es nicht. Verdammt. Ich schaffe es nicht!«, jammerte die Hebamme. Doch was war das?
Der durchdringende Schrei eines Neugeborenen!
Anna stand zögernd auf. Ihre Knie wackelten. Alles war voller Blut, doch das kleine Wesen lebte. Es schrie noch immer.
Anna war der Ohnmacht nahe, als die Hebamme ihr das kleine Wesen in den Arm drückte. Es ist so schwer, dachte sie, bestimmt ein Junge! Dann erkannte sie, dass es ein Mädchen war. Kate, die große, kräftige Kate! Tränen des Glücks und der Trauer rannen Anna über das Gesicht, als sie sich erschöpft auf die Bettkante fallen ließ. Meine geliebte Klara! Dich habe ich verloren, aber du hast mir eine Enkeltochter geschenkt! Und von diesem Moment an wusste Anna, dass sie dieses Kind immer lieben und wie ihren Augapfel hüten würde, obwohl ihre Tochter gestorben war, damit es leben durfte.
Behutsam stand Anna auf; sie musste Kate baden und in warme Tücher wickeln. Da stürmte Timothy ins Zimmer. Fassungslos warf er sich über seine Frau. »Ich kann nicht ohne dich leben, Klara!«, schluchzte er erstickt. »Hörst du mich, mein Liebling! Du darfst mich nicht allein lassen!«
Anna entfernte sich still.
Erst Stunden später, als Kate endlich in Klaras alter Wiege schlief, kehrte Anna in das Schlafzimmer zurück. Klara lag immer noch da. Anna küsste sie wieder und wieder auf die Wangen. Tief in ihrem Herzen begriff sie noch nicht, dass ihre Tochter sie für immer verlassen hatte. Da hörte sie das Baby lauthals schreien. Sie eilte von Klaras Totenbett fort, um das Kind zu holen.
Mit dem Säugling im Arm betrachtete Anna die Tote. Sie fühlte sich wie in einem bösen Traum, den man nicht anhalten konnte, in dem man aber die winzige Hoffnung hegte, rechtzeitig aufzuwachen. Nachdem das Baby in ihrem Arm wieder eingeschlafen war, brachte Anna es zurück in Klaras Wiege. Dann ließ sie sich erschöpft auf ihr Bett fallen und döste ein.
Sie schreckte hoch, als Paulas markerschütternder Schrei durch das ganze Haus schallte. Dann stand Paula auch schon in Annas Tür - bleich wie eine Tote.
Wortlos nahm Paula Anna bei der Hand. Am ganzen Körper zitternd, führte sie Anna in den Salon.
Annas Bewusstsein weigerte sich, das grausame Bild, das sich ihnen dort bot, aufzunehmen. An einem Seil vom Kronleuchter baumelte Timothys lebloser Körper. Ein Fenster war geöffnet. Ein Windstoß fegte hinein, der mit dem Toten spielte. Timothy McDowell, Klaras treu ergebener Freund und Ehemann, den ich geliebt habe wie meinen Sohn, das waren die Gedanken, die Anna bei diesem gespenstischen Anblick durch den Kopf gingen. Warum hat der Leuchter nicht unter dem Gewicht des Jungen nachgegeben? Woher hatte er die Leiter? Wie soll ich das bloß Klara beibringen? Und, John, was wird John erst dazu sagen? Dann begann sich alles um sie herum zu drehen, Blitze leuchteten auf, und sie sank zu Boden.
Als Anna aufwachte, sah sie als Erstes das besorgte Gesicht von Doktor Warren. Was war geschehen? Sie erinnerte sich nur noch an Klara und ihre mörderischen Schreie.
Sie wollte sich aufsetzen, aber Paula hielt sie davon ab. Der Anblick ihrer von Tränen geröteten Augen weckte eine grauenvolle Erinnerung, die Anna schmerzte.
»Warum hat er das getan?«,
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