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Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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stellte deshalb die Schreibmaschine im Wohnzimmer auf und fing an,
die Übersetzungen abzutippen.
    Rolle Nummer elf traf am
nächsten Tag ein. Ben mußte den ganzen Tag Höllenqualen ausstehen. Wie ein im
Käfig gefangenes Tier lief er nervös im Zimmer auf und ab. Von ihrem Platz am
Wohnzimmertisch aus belauschte Judy gelegentlich Bens Streitgespräche mit David
oder seiner Mutter. Manchmal hörte sie ihn ruhig mit Saul über die Unterschiede
zwischen Eleasars und Simons Lehre diskutieren. Dabei kam es ihr oft so vor,
als wolle David Saul zum Messianismus bekehren. Hin und wieder sprach Ben auch
mit Solomon und gestand ihm leise, daß er zuweilen wünschte, er wäre mit ihm
weiter auf die Universität gegangen und ein Rabbi geworden.
    Judy hörte, wie Ben David
anschrie, er solle gefälligst aus seinem Körper verschwinden und seine
schauerlichen Alpträume wieder mitnehmen. Dann wieder hörte sie ihn schluchzen
und Jiddisch sprechen, woran sie erkannte, daß er gerade bei seiner Mutter war.
    Den allmählichen
Zusammenbruch von Bens Vernunft so hautnah mitzuerleben, zerriß Judy beinahe
das Herz. Zweimal, nachdem sie ihn etwas über Majdanek hatte brüllen hören,
hatte sie ihren Kopf auf die Schreibmaschine gelegt und geweint. Aber es lag
nicht in ihrer Macht, einzugreifen. Diesen Kampf hatte Ben allein auszutragen.
Die Suche nach der eigenen Identität war eine einsame Suche, und sie wußte, daß
ein Eingreifen ihrerseits verheerende Folgen haben würde.
    Als Rolle Nummer elf ankam,
riß Ben sie dem Briefträger aus der Hand und stürzte nach oben, während Judy
zurückblieb, um für das Einschreiben zu quittieren und sich für sein Benehmen
zu entschuldigen. Als sie die Wohnung betrat, saß Ben bereits an seinem
Schreibtisch und kritzelte in sein Übersetzungsheft.
     
     
    Als der eigentliche
Augenblick des Abschieds kam, war ich betrübt, doch bis dahin hatte ich meiner
Reise erwartungsvoll und voller Freude entgegengesehen. Die Vorfreude überwiegt
stets den Gedanken an den Abschied von den Lieben oder an die Gefahren, die
einer solchen Reise innewohnen. Erst wenn es dann soweit ist und man an Bord
geht, besinnt man sich plötzlich auf die Monate der Einsamkeit, die vor einem
liegen.
    Rebekka litt in stiller
Verzweiflung. Nicht ein einziges Mal, seitdem ich ihr angekündigt hatte, daß
ich gehen würde, hatte sie ihr Entsetzen darüber bekundet. Denn Rebekka war
eine zurückhaltende und gehorsame Frau, die wußte, daß meine Entscheidungen
allen zum besten gereichten. Und auch wenn es ihr vielleicht insgeheim
widerstrebte, mich ziehen zu lassen, oder wenn sie schlimme Vorahnungen hatte,
so verlieh sie ihren Befürchtungen dennoch keinen Ausdruck. So ehrerbietig war
Rebekka. Indessen gab es viele, die ihre Zunge nicht im Zaum hielten. Saul war
derjenige, der am wenigsten ein Blatt vor den Mund nahm. Mehrmals war er abends
zu uns gekommen und hatte stundenlang auf mich eingeredet, um mich von meinem
Vorhaben abzubringen. Und ich liebte ihn dafür um so mehr.
    Er sagte: »Du überquerst ein
großes, tückisches Meer, das oft viele Menschenleben fordert. Und selbst wenn
du die Fahrt überlebst, was soll dich in diesem sündigen Babylon vor
heimtückischen Überfällen bewahren? Und wenn du durch irgendeine wundersame
Fügung am Ende deines Besuches dort noch am Leben bist, dann steht dir wieder
die Heimreise über das tückische Meer bevor!«
    »Du bist ein Optimist, mein
Bruder«, gab ich zurück und rang ihm ein Lächeln ab. »Wie du weißt, habe ich
mein Geld dort angelegt und muß zumindest einmal im Leben hinreisen, um an Ort
und Stelle alles in Augenschein zu nehmen. Der alte Salmonides begleitet mich
ja. Er ist ein erfahrener Reisender und weiß über die Niedertracht deines
Babylons bestens Bescheid.« Meine anderen Freunde von den Armen waren ebenfalls
gegen meine Reise. Sie befürchteten, daß der Meister zurückkehren könne,
während ich fort war, aber ich wußte, daß dies ein Risiko war, das ich eingehen
mußte. Doch mein alter Mentor Simon war in Rom, und ich sehnte mich danach, ihn
wiederzusehen. Und da ich schon so viele frevelhafte Geschichten über diese
eine Million Einwohner zählende Stadt gehört hatte, wollte ich sie selbst
einmal sehen.
    Von allen, die versuchten,
mich davon abzubringen, hätte nur eine Person vielleicht Erfolg haben können.
Aber meine liebe Sara hüllte sich in Schweigen. Seitdem sie sich den Armen
angeschlossen hatte, war ich es gewohnt, sie in meiner Nähe zu haben,

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