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Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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und doch
empfand ich stets den vertrauten Schmerz in meinem Herzen und die Schwäche in
meinen Knien, wann immer ihr Blick sich mit meinem kreuzte. Eine lange Zeit war
seit jenem Nachmittag auf dem Hügel vergangen, und doch liebte und begehrte ich
sie, als wäre es erst gestern gewesen.
    Am Tag meiner Abreise hatten
sich alle meine Freunde um mich versammelt. Meine Frau stand an meiner Seite,
als unsere Brüder und Schwestern von den Armen mir den Friedenskuß gaben. Auch
Sara drückte ihre Lippen auf meine Wange und flüsterte: »Möge der Gott Abrahams
dich beschützen.« Doch sie blickte nicht zu mir auf. Saul, der noch immer kein
Mitglied des Neuen Bundes war und nicht daran glaubte, daß der Messias dieser
Tage zurückkommen werde, umarmte mich und ließ seinen Tränen freien Lauf. Der
letzte, der mir Lebewohl sagte, war Jonathan, mein Lieblingsneffe, den ich
innig liebte. Er schlang seine Arme um meinen Hals und bat mich inständig,
nicht zu gehen.
    Da sagte ich zu ihm:
»Jonathan, du bist Sauls ältester Sohn wie der älteste Sohn des ersten Königs
von Israel. Dieser Jonathan war ein berühmter Krieger und ein tapferer Mann.
Erinnerst du dich daran, was David ehedem von seinem besten Freund Jonathan
sagte? Es steht geschrieben, daß David sagte: ›Saul und Jonathan, die
Gelehrten, die Holdseligen, in ihrem Leben wie in ihrem Tode sind sie
unzertrennt gebliebene Jonathan, du warst mir über alles lieb! Ja, deine Liebe
ging mir über Frauenliebe!«
    Jonathan freute sich über
diese Worte und war weniger betrübt. So erwähnte ich auch nicht, daß es sich
dabei um die Wehklagen Davids über die Ermordung von Saul und Jonathan im
Gebirge Gilboa handelte. Und weil er ebenfalls ein Mitglied der Armen war, da
Sara, ungeachtet Sauls Mißbilligung, darauf bestanden hatte, ihn zu den Versammlungen
mitzunehmen, gab Jonathan mir den Friedenskuß. Salmonides und ich reisten an
diesem Tag mit einer Karawane ab und kamen in der Woche darauf nach Joppe. Dort
bekamen wir einen Platz auf einem Phönizischen Schiff, das nach Kreta unterwegs
war. Auf der Fahrt ging es uns gut, da wir uns nahe an der Küste hielten. In
einem Hafen unweit der Stadt Lasea konnten wir uns eine Überfahrt an Bord eines
römischen Schiffes sichern, das mit seinem schweren Segel einen recht soliden
Eindruck machte. Wir waren überzeugt, daß ihm auch stürmisches Wetter nichts
würde anhaben können.
    Die Jahreszeit war noch immer
günstig, und so brachen wir in Richtung Rom auf. Auf der ganzen Fahrt wurden
wir von leichten Südwinden begleitet, und während der Kapitän seinen kapitolinischen
Gottheiten für ihre Hilfe dankte und Salmonides seinen griechischen Göttern
huldigte, wußte ich allein, daß nur das Werk des Gottes Abrahams die Reise so
angenehm machte. Meinen ersten flüchtigen Eindruck von Italien bekam ich in
Rhegium, das wir anliefen, um Passagiere an Land zu setzen und andere
aufzunehmen. Und von dort aus segelten wir an der Küste entlang nach Ostia, dem
Hafen Roms.
    Dort angekommen, mieteten wir
uns Esel und ritten einen Tag, bis wir am Vorabend eines Festtages, der unter
dem Namen Saturnalien bekannt ist, die Stadt erreichten. Wie es sich so ergab,
sollte dann auch der Geburtstag des Kaisers gefeiert werden. Ich möchte, mein
Sohn, in diesen kurzen Schriftrollen nicht auf die haarsträubenden Szenen
eingehen, die sich meinem Auge darboten, als ich mit Salmonides die Stadt
betrat. Mir bleibt nur noch wenig Zeit, und jede Stunde, die mein Schreibrohr
über diesen Papyrus gleitet, bringt mich meinem Tode näher. Ich will mich
deshalb nicht länger mit dem zügellosen Wesen Roms oder dem schockierenden
Benehmen des Pöbels in dieser Stadt befassen. Laß mich vielmehr an meiner
eigenen Geschichte festhalten, und es genügt wohl, wenn ich dir sage, daß Rom
ein wahrhaftiges Babylon ist. Salmonides und ich nahmen getrennte Zimmer in
einem angesehenen Gasthof, und während ich ihn ausschickte, um sich als mein
Bevollmächtigter Einblick in meine Beteiligungen in Rom zu verschaffen, hatte
ich selbst nur ein Vorhaben im Sinn: Simon zu besuchen.
    Wie du weißt, mein Sohn,
hatte Simon Jerusalem mehrere Jahre zuvor verlassen. Doch was du nicht weißt
und was du auch nicht verstehen wirst, bis du ein erwachsener Mann bist, ist,
warum Simon Jerusalem verließ. Du erinnerst dich sicher daran, was ich dir über
die Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und Jakobus und über ihren Kampf um
die oberste Führung der Armen berichtete. Je größer die

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