Der Fluch der Schriftrollen
heilig?«
»Nein.«
»Gehen sie am Versöhnungstag
in die Synagoge oder fasten sie?«
»Nein.«
»Verzichten sie auf den Genuß
von Schweinefleisch?«
»Nein.«
Ich war entsetzt. Vielleicht
wurde meine Erschütterung noch dadurch vergrößert, daß ich all dies von Simon
hören mußte, der einst der frömmste Jude überhaupt gewesen war. Ich fragte ihn:
»Was sind das für Symbole, die sie um ihre Hälse tragen?«
Er antwortete: »Es ist das
Zeichen des Fisches, das Symbol unserer Bruderschaft. Es kam ursprünglich aus
Antiochia, wo man Griechisch spricht.«
»Und Ihr erlaubt ihnen,
Götzenbilder zu tragen?«
»Es bleibt keine Zeit, den
Heiden unsere Gesetze aufzuzwingen, denn der Messias kann jeden Augenblick
wiederkehren. Vielleicht nähert er sich gerade jetzt, während wir uns
unterhalten, den Toren der Stadt. Diese guten Menschen hier glauben an ihn; sie
sind errettet worden. Hätte ich darauf bestanden, daß sie zuerst Juden würden,
so wären sie vielleicht nicht rechtzeitig vorbereitet und blieben auf der
Strecke, wenn das Königreich Gottes naht.«
Aber ich ließ mich nicht
beschwichtigen und entgegnete ihm: »Simon, in Judäa bereiten sich unzählige
Juden darauf vor, gegen die Römer zu kämpfen. Männer, die eure Brüder sind,
rüsten sich für den Kampf, der unausweichlich ist. Und was macht Ihr? Ihr seid
hier und bekehrt Römer. Was ist geschehen? Es ist, als ob Ihr und ich auf
entgegengesetzten Seiten stünden.«
»Aber das tun wir doch nicht«,
hielt er dagegen, »denn wir stehen beide auf der Seite Gottes.«
Ich konnte seine Meinung
nicht teilen. In Jerusalem, wo Simon einst gepredigt hatte, warteten Juden
darauf, daß ihr König zurückkehren würde. In Rom warteten Heiden auf jemanden,
den sie gar nicht erkennen würden. »Warum nennen sie euch Petrus?« fragte ich.
»Weil der Meister einst sagte, ich sei ein so solider und zuverlässiger Freund,
daß ich für ihn wie ein Fels sei.«
»Und sie verbrennen
Weihrauch, was ein heidnischer Brauch ist.«
»Es ist, weil diese Menschen
einst Heiden waren, aber jetzt verehren sie Gott. Dies ist ihre Weise, ihm zu
huldigen.«
»Sie verehren nicht Gott«,
sagte ich bitter. »Sie haben einfach die Namen ihrer eigenen Götter gegen
andere vertauscht. Ein jeder von ihnen wird weitermachen wie zuvor, denn sie
haben sich kaum verändert. Und in ihren Herzen werden sie stets Heiden sein.
Ihr nennt ja sogar den Tag des Herrn Tag der Sonne, weil die Anhänger des
Sonnengottes Mithras ihn so bezeichnen.«
»Es sind viele von ihnen
unter uns«, erklärte er, »und wir haben auch Anhänger von Isis, von Baal und
von Jupiter zu unserem Glauben bekehrt.«
Doch ich widersprach: »Eine
Bekehrung hat nicht stattgefunden, Simon, denn alles, was sie getan haben,
besteht darin, daß sie alte Wörter gegen neue eintauschten. Letzten Endes ist
dies alles heidnisch.«
Wir gingen traurig
auseinander, und diesmal sollte es ein Abschied für immer sein. Erst später
erfuhr ich, daß Saul von Tarsus nach dem Vorbild von Petrus seinen Namen in
Paulus geändert hatte, um den Römern zu gefallen. Weiterhin fand ich heraus,
daß nur wenige Juden in Rom vom Messias gehört hatten und daß er größtenteils
von unbeschnittenen Heiden erwartet wurde. Ich weinte heftig und bejammerte den
Tag, an dem ich Judäa verlassen hatte. Als ich in dem Gasthofzimmer saß, sehnte
ich mich nach meinen Olivenbäumen zurück und wünschte mir, den Staub Israels
unter meinen Füßen zu spüren. Ich sah das schöne Gesicht Saras vor mir, hörte
die Stimme meines geliebten Saul und fühlte die Arme des kleinen Jonathan an
meinem Hals. Wie sehr wünschte ich nun, ich hätte auf sie gehört, denn außer
Kummer und Schmerz hatte mir meine Reise nichts eingebracht.
Ich drang darauf, daß wir
bereits am nächsten Tag von Ostia wieder abreisen sollten. Salmonides
versuchte, mich zu überreden, noch ein wenig in Rom zu verweilen, und
versicherte mir beharrlich, daß ich über die Stadt ein zu schnelles und zu
hartes Urteil gefällt habe. Indes war ich gegen seine Worte taub. In Rom war
das Streben nach Sinneslust und Genuß weit verbreitet, und es herrschte
Gleichgültigkeit gegenüber Gott. Ich fühlte mich unrein. So sagte ich ihm:
»Meine Heimat ist Israel, denn ich bin ein Jude. Dort ist Zion und das Land,
das Gott uns verheißen hat. Wie kann ein Jude die Gesetze der Thora befolgen, wenn
er von diesen sündigen Menschen umgeben ist?«
Salmonides zuckte nur die
Schultern und schüttelte den
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