Der Fluch der Schriftrollen
Siehst du, wie alles zusammenpaßt?«
Angie hatte genickt und ein
Gähnen unterdrückt. Dann hatte Ben weitererzählt, wie die Vernichtung
Jerusalems den Staat Israel für Jahrhunderte ausgelöscht hatte. »Bis 1948. So lange
brauchten sie, um das Land zurückzubekommen, um dessen Besitz sie
neunzehnhundert Jahre vorher so verzweifelt gekämpft hatten.« Später war Ben in
einen tiefen Schlaf gesunken, aus dem er sich durch nichts hatte wachrütteln
lassen. Angie hatte am Morgen in der Universität angerufen und Bens Unterricht
abgesagt, und am Nachmittag hatten sie beide an Weatherby nach Galiläa
telegraphiert. Am Freitagmorgen war Ben schon viel ruhiger und wesentlich
ausgeglichener gewesen und konnte die Ereignisse aus einem anderen Blickwinkel
betrachten. Er hatte wie gewöhnlich seine beiden Freitagsstunden gegeben und
für drei seiner Studenten sogar Sprechstunden abgehalten.
Darüber dachte er jetzt nach,
als er zu Hause saß. Angie war bei ihm und hatte ihren kühlen Arm um seinen
Nacken gelegt, während sie ihm mit den Fingern durchs Haar fuhr. Zunächst
hatten ihn zwei Studenten aus seinem Kurs »Deutung hebräischer Manuskripte«
sprechen wollen, doch als dritte war Judy Golden zu ihm gekommen, und über
diese Begegnung dachte er nun nach. »Ich möchte das Thema meiner Seminararbeit
ändern, Dr. Messer.« Sie war auf dem Stuhl ihm gegenüber in seinem winzigen
Büro gesessen und hatte einen ganzen Stapel Bücher in den Armen gehalten. Ihr
glänzendes schwarzes Haar hing ihr lose über die Schultern und rahmte ihr
ungewöhnlich blasses Gesicht ein.
Als sie sprach, war es Ben
aufgefallen, wie verschieden sie doch von Angie war. Dann war es ihm seltsam
vorgekommen, daß er daran dachte.
»Wird das nicht schwierig für
Sie? Ich denke, daß Sie die Materialsuche abgeschlossen haben und die
Gliederung bereits feststeht.«
»Das ist richtig. Aber ich
habe das Interesse an dem Thema verloren.
Na ja…«, sie blickte ihn
unverwandt an, »nicht direkt das Interesse verloren. Nur war es so, daß mich
etwas anderes mehr zu interessieren begann. Ich weiß, wie sehr Sie es
mißbilligen, wenn man mitten im Semester das Thema wechselt, aber ich denke,
ich könnte ein anderes Sachgebiet besser bearbeiten.«
Ben hatte nach seiner Pfeife
gegriffen. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich rauche?«
Judy schüttelte den Kopf.
Eigentlich störte es sie. Sie haßte es wie die Pest, wenn ihr jemand Rauch ins
Gesicht blies. Doch schließlich war dies sein Büro, und sie wollte ihn um einen
Gefallen bitten. Ben machte wie üblich aus dem Anzünden seiner Pfeife ein
langes Ritual und verbrachte die nächsten ein oder zwei Minuten schweigend
damit. Als er endlich fertig war und sie durch eine graue Wand aus Tabakrauch
anblickte, meinte er: »Ich sollte Ihnen eigentlich von einem solchen Schritt
abraten, doch offensichtlich sind Sie mit einem anderen Thema glücklicher, und
Ihre Zeugnisse zeigen, daß Sie eine gute Studentin sind. Ich werde mir also Ihr
neues Thema notieren.« Er öffnete seinen schäbigen Allerwelts-Karteikasten,
nahm eine Karte heraus, strich etwas durch und hielt dann den Kugelschreiber
bereit. Erwartungsvoll hob er die Augenbrauen.
»Der neue Titel soll lauten:
›Das Hebräische des Eleasar Ben Jehuda‹.«
Ben schrieb es auf, steckte
die Karte zurück und zog an seiner Pfeife. »Es scheint kein leichtes Thema zu
sein, obwohl es gut zum Unterrichtsstoff paßt. Aber was gefällt Ihnen nicht an
Ihrem ersten Thema, ›Die Sprache der Aschkenasim‹?«
»Es war zu eng und schränkte
mich zu sehr ein. Und vielleicht war es auch nicht so gut auf das Thema des Unterrichts
anwendbar. Was Ben Jehuda für das Hebräische tat, kann man heute im
israelischen Rundfunk hören und in Zeitungen aus Tel Aviv nachlesen.«
»Es scheint eine sehr
anspruchsvolle Arbeit zu sein. Werden Sie überhaupt so viel Zeit haben?« Judy
grinste. »Mehr als genug.«
Ben paffte gedankenverloren
an seiner Pfeife. »Worüber wollen Sie Ihre Magisterarbeit schreiben?«
»Nun, das steht für mich
schon fest. Ich habe mich schon immer für besondere religiöse Gruppen
interessiert, die sich dem Einfluß bedeutender historischer und religiöser
Strömungen entzogen.«
»Wie die Samaritaner?«
»Ja genau, nur dachte ich
daran, mich mit den Kopten, der christlichen Kirche Ägyptens, zu befassen.
Vielleicht mit ihren Ursprüngen.«
»Tatsächlich? Irgendwie
dachte ich, Sie würden sich etwas aussuchen, was näher mit Ihrer Heimat
verbunden
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