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Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Aramäisch
geschrieben.
     
    Es ist gut für einen Mann,
seinen Vater zu kennen, aber Du wirst über mich nur das erfahren, was ich Dir
mitteile. Wisse, mein Sohn, daß Dein Vater David als Sohn von Jona Ben Ezekiel
und seinem guten Weib Ruth vom Stamme Benjamins in der Stadt Magdala geboren
wurde. Man schrieb damals das zwanzigste Herrschaftsjahr des Imperators
Tiberius Claudius Nero, in dem Paulus Fabius Persicus und Lucius Vitellius
Konsuln waren. Es war Dezember und das achtunddreißigste Jahr des Herodes
Antipas, Tetrarch von Galiläa und Peräa.
     
    »Guter Gott!« murmelte Ben
erstaunt. »David Ben Jona, wirst du niemals aufhören, mich zu verblüffen?«
    Er legte den Kugelschreiber
nieder und massierte sich die Schläfen. Ben hatte Kopfschmerzen, die immer
stärker wurden, und er wußte, daß sie von seiner wachsenden Anspannung und
Aufregung herrührten. Zweifelnd starrte er wieder auf diesen ersten Abschnitt.
Seine Bedeutung war schwindelerregend.
    Die Tatsache, daß David bei
seinen Zeitangaben sehr genau gewesen war, stellte wahrscheinlich sein größtes
Geschenk an die Menschheit dar. Nicht, daß er damit etwas wirklich
Weltbewegendes sagte. Aber die Bedeutung lag darin, daß er so feste Richtlinien
für eine andernfalls unsichere Wissenschaft geschaffen hatte. Viele andere
Manuskripte in Museen auf der ganzen Welt, die nur im nachhinein mit mutmaßlichen
Datumsangaben versehen worden waren, könnten jetzt mit Davids Alphabet und
Handschrift verglichen und zeitlich genauer bestimmt werden. Mit seinen eigenen
Worten hatte der alte Jude den offiziellen Titel des Herodes bestätigt und
dessen Herrschaftszeit mit der des Tiberius, des unmittelbaren Nachfolgers von
Kaiser Augustus, in Verbindung gebracht. In diesen wenigen Zeilen hatte David
Ben Jona durchblicken lassen, daß Magdala größer gewesen sein mußte, als man
bisher vermutet hatte. Er gab sich auch selbst als ein weltlich gesinnter Mann
zu erkennen, der gebildet und wahrscheinlich sogar ein Gelehrter war, obgleich
er nicht hellenisiert war.
    War das möglich? Ben putzte
geistesabwesend seine Brille mit einem Hemdzipfel. Konnte ein solch weltlicher
Jude wie dieser sich dem Einfluß seiner hellenistischen Umgebung entziehen und
sein Judentum weiterhin bewahren? Wenn man Hillel und Gamaliel betrachtete, ja.
Wenn man Saulus von Tarsus als Beispiel heranzog, ebenfalls.
    Ben schauderte plötzlich. Als
er noch einmal die Zeilen überflog, die er bereits übersetzt hatte, um sich von
der Richtigkeit der Zahlen zu überzeugen, blieb er an dem Jahr des Kaisers
Tiberius hängen. Im zwanzigsten Jahr… Tiberius hatte fast dreiundzwanzig Jahre
lang regiert, von vierzehn bis siebenunddreißig nach der Zeitrechnung. Das
würde bedeuten, daß David Ben Jona am dreizehnten Dezember im Jahr
vierunddreißig nach der Zeitrechnung zur Welt gekommen war. Geboren war er im
Jahr vierunddreißig nach der Zeitrechnung, und er hatte die Schriftrollen um
siebzig nach der Zeitrechnung verfaßt. Damals mußte er also etwa
sechsunddreißig Jahre alt gewesen sein. Ben spürte, wie seine Kopfschmerzen
schlimmer wurden. »Er ist nicht älter als ich!« flüsterte er. »Er ist im
gleichen Alter!« Er wußte selbst nicht genau, warum er von dieser Entdeckung so
beeindruckt war. Er stand auf und ging langsam durch sein dunkles Wohnzimmer.
Schließlich sank er in den Lehnstuhl und legte seine Füße auf den Diwan. Dann
schloß er die Augen, um seine Kopfschmerzen abklingen zu lassen.
    Ein junger David Ben Jona
anstelle eines alten änderte plötzlich alles. Von Anfang an hatte Ben sich
einen weißbärtigen alten Patriarchen vorgestellt, der mit gichtigen Händen über
seinen kostbaren Rollen arbeitete. Es erschien einfach passend. Es waren stets
die frommen alten Weisen, die mit einem gewissen Fanatismus Dinge
niederschrieben.
    Doch David Ben Jona war, wie
es schien, ein kräftiger, junger Jude gewesen, nicht älter als Ben selbst, der
von dem geheimnisvollen Entschluß getrieben worden war, seine Lebensgeschichte
zu Papier zu bringen.
    Aber warum sagt er dann, daß
er bald sterben müsse? fragte sich Ben. Er hatte sich den Juden altersschwach
auf seinem Totenbett liegend ausgemalt. Dabei verhielt es sich völlig anders.
Wie kann ein Sechsunddreißigjähriger wissen, daß er bald sterben wird? Einem
plötzlichen Drang folgend, lief Ben mit großen Schritten zu seinem Schreibtisch
zurück und setzte sich wieder vor das Manuskript. Argwöhnisch blickte er auf
jedes Wort, auf jeden

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