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Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Kinder!« und bekundete mit
Gebärden, daß es sie nach seinem Tod gelüstete.
    Da kam der gesichtslose Mann
ganz dicht an Ben heran und flüsterte ihm ins Ohr: »Kapitel siebenundzwanzig,
Vers fünfundzwanzig.« Dann straffte sich das Seil, und Ben spürte, wie der
Boden unter seinen Füßen nachgab.
    Mit einem erstickten Schrei
in der Kehle fuhr Ben im Bett hoch. Sein ganzer Körper war schweißgebadet, und
die Laken waren klatschnaß.
    »Jahrhundertelanges Leiden«,
flüsterte er in die Finsternis hinein, »und alles wegen dieser einen Zeile. O
Gott, das hätte doch verhindert werden können!« Und er verbarg sein Gesicht in
den Händen und weinte.
     
     
    Bei Tagesanbruch war er
erschöpft und fühlte sich so, als hätte er überhaupt nicht geschlafen.
Erinnerungen an die Alpträume verfolgten ihn hartnäckig, als er sich frischmachte
und für den Tag vorbereiten wollte. Unter der heißen Dusche grübelte er über
die symbolische Bedeutung seiner Träume nach und fragte sich, warum sie nach
all den Jahren ausgerechnet jetzt zu ihm zurückkamen. Er nahm keine Notiz von
der Unordnung in seiner Wohnung und achtete nicht auf Poppäa, die um Futter
bettelte. Wie in Trance saß er über einer Tasse mit bitterem Kaffee. Vor seinen
Augen tanzten Bilder aus seinen Träumen – phantastische, unheimliche Szenen von
Tod, Verstümmelung und bestialischer Grausamkeit. Sie widerten ihn an und
erfüllten ihn mit Trostlosigkeit und Kälte. Ihm war, als ob er persönlich eine
Nacht lang die Schmerzen, Qualen und Erniedrigungen aller Juden in zwei
Jahrtausenden Geschichte erlitten hätte.
    »Alles wegen einer Zeile in einem
Buch«, murmelte er über dem Kaffee. »Warum tust du mir das an, David? Warum muß
ich leiden?« Vor seinem trüben, teilnahmslosen Blick tauchte das Bild von David
Ben Jona auf, einem dunklen, ansehnlichen Juden mit ernsten, nachdenklichen
Augen. Er war keine greifbare Erscheinung, sondern eine nebelhafte,
durchscheinende Gestalt wie aus einer Fata Morgana. Ben starrte ihn ohne
Gemütsbewegung an und sprach ohne Empfindung: »Wenn ich nur wüßte, warum deine
Wahl ausgerechnet auf mich fiel, könnte ich es vielleicht noch ertragen. Aber
ich weiß es nicht und habe das Gefühl, den Verstand zu verlieren.«
    Ben stand langsam auf und
wanderte ins Wohnzimmer hinüber. Er legte sich auf die Couch und verschränkte
die Arme unter dem Kopf. Vielleicht würde er bei Tageslicht besser schlafen
können. Doch dies war nicht der Fall. Sobald er eingeschlafen war, gingen die
Träume aufs neue los. Genauso lebendig, als ob sie sich wirklich ereigneten.
Ben war wieder bei seiner Mutter in Brooklyn und erbrach sich im Badezimmer.
Sie hatte wieder angefangen, vom Konzentrationslager zu erzählen – immer und
immer wieder wie eine Geistesgestörte. Sie berichtete von Greueltaten, die der
vierzehnjährige Ben noch gar nicht verkraften konnte. Es war nicht das
erstemal, daß er sich so übergeben hatte. Und die ganze Zeit über Rosa Messers
weinerliche Stimme: »Für deinen armen toten Vater mußt du ein Rabbiner werden,
Benjamin. Er starb, indem er für Juden kämpfte. Nun mußt du seinen Platz
einnehmen und die Gojim bekämpfen.« Daß seine Mutter in Majdanek in mancher
Hinsicht verrückt geworden war, hatte Ben immer gewußt. Und daß sie mit jedem
Jahr, das verging, unausgeglichener wurde, war ihm ebenfalls bekannt. Doch
warum er selbst auf ihr Wehgeschrei so heftig reagiert hatte, warum er ihr das
für sie so kostbare Judentum ins Gesicht geschleudert hatte, das konnte er bis
heute nicht verstehen.
    »Weißt du, Benjy«, hatte
Solomon Liebowitz bei ihrer letzten Begegnung gesagt, »du bist dir nur selbst
nicht ganz klar darüber, warum du dem jüdischen Glauben den Rücken kehren
willst.«
    »Ich habe nicht gesagt, daß
ich ihm den Rücken kehren wolle. Ich werde trotzdem noch Jude bleiben.«
    »Aber kein orthodoxer, Benjy,
und damit bist du überhaupt kein Jude mehr. Du hast die Thora und die Synagoge
aufgegeben, Benjy, und ich kann einfach nicht verstehen, warum.«
    Ben hatte die Ohnmacht in
seinem Inneren gespürt. Wie konnte er seinem besten Freund Solomon erklären,
wie konnte er ihm begreiflich machen, daß er, um von seiner unglücklichen
Vergangenheit loszukommen, sich auch vom Judentum lösen mußte? Weil Judentum
und Unglück für Ben unentwirrbar miteinander verflochten waren.
    »Es wird deine Mutter ins
Grab bringen«, hatte Solomon gewarnt. »Sie hat Schlimmeres durchgemacht.«
    »Wirklich, Benjy? Hat

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