Der Fluch der Schriftrollen
schreiten. Ich beneidete ihn darum, und gleichzeitig liebte ich ihn
dafür. Eleasar betrachtete ich auch weiterhin wie meinen eigenen Vater. Ihn
allein liebte ich mehr als irgendwen sonst, denn er war weise, gerecht und
gütig. Auf eigene Faust fuhr ich damit fort, das Gesetz zu studieren, wußte ich
doch, daß die Thora für die Juden das Mittel war, ihren Erwählungsauftrag auf
Erden zu erfüllen. Wenn ich Fragen hatte, ging ich in die Stadt, setzte mich zu
Eleasars Füßen und lauschte seinen Ermahnungen.
Ich war traurig und glücklich
zugleich. Ich schwitzte unter der Sonne im Olivenhain und aß Fisch und Käse.
Die Abende waren ruhig und mild, und in Gedanken weilte ich oft bei der sanften
Rebekka. Möglicherweise hätte ich mit diesem Leben für den Rest meiner Tage
zufrieden sein können, doch sollte es anders kommen.
Ich erzähle Dir dies, mein
Sohn, damit Du weißt, daß unsere größten Pläne ganz einfach zunichte gemacht
werden können. Gott allein plant unser Schicksal, und wir haben keinen Einfluß
darauf. Das Leben ist wie ein Fluß, der ständig in Bewegung ist, und du kannst
deine Hand nicht zweimal an derselben Stelle eintauchen.
Wieder einmal sollte mein
Leben eine Wendung nehmen. Es trat etwas ein, das im Grunde nur einen weiteren
Schritt hin zu der unausweichlichen Stunde darstellte, über die ich Dir bald
berichten werde. Das Verbrechen, das ich letzten Endes beging und von dem Du
zweifellos bereits gehört hast, war das Endergebnis von vielen derartigen
Umwegen und Änderungen in meinem Leben. Mein ganzes Planen und meine ganze
Macht hätten mich nicht daran hindern können, in dieser verhängnisvollen Stunde
so zu handeln.
Ebenso, wie mein Leben einen
anderen Verlauf nahm, als mein Vater mich von Magdala zum Studium nach
Jerusalem schickte, ebenso, wie ich in Ungnade fiel und von der Schule gewiesen
wurde, so brachte mich ein drittes Ereignis wieder auf die Straße, an deren
Ende das Verhängnis wartete.
Ich war dabei, Öl von unserer
Presse zum Verkauf auf den Marktplatz zu bringen. Ich wartete mit den Eseln,
die die fünf Tonkrüge trugen, geduldig in der Schlange, die sich langsam durch
das Goldene Tor wand. Und als ich müßig in der Sonne stand und zufällig aufsah,
erspähte ich ein bekanntes Gesicht in der Menge. Es war Salmonides, der
Grieche.
Ein aufgeregtes Klopfen drang
von der Tür her zu Ben. »Lieber Himmel!« rief er, als er aufsprang. Er riß die
Tür auf. »Judy!«
»Hallo, ich wollte gerade…«
»Bin ich vielleicht froh, Sie
zu sehen!« Ben nahm sie bei der Hand und zog sie in die Wohnung. »Er hat
Salmonides gefunden!«
»Was?«
»David hat Salmonides
gefunden! Kommen Sie, wir können es zusammen lesen!« Er zog Judy hinter sich
her ins Arbeitszimmer und bedachte sie mit einem strahlenden, breiten Lächeln.
»Können Sie das glauben? Was meinen Sie, wie sich David wohl verhält?
Hoffentlich haut er dem Griechen gehörig die Hucke voll!« Ben verstummte, als
er ihren ernsten Gesichtsausdruck bemerkte. Als nächstes gewahrte er die
zusammengefaltete Zeitung in ihrer Hand. »Was ist das?«
»Haben Sie es noch nicht
gesehen?«
»Es gesehen? Was gesehen?«
Mit zitternden Fingern schlug
Judy die Zeitung auf und breitete sie vor Ben aus. Dieser starrte ungläubig auf
die Titelseite. Die Schlagzeile lautete:
JESUS-HANDSCHRIFTEN
GEFUNDEN?
»Was zum
Teu…« Er riß ihr die Zeitung aus der Hand. »Jesus-Handschriften! Was zum Henker
soll das für ein schlechter Scherz sein!«
»Es ist kein
Scherz…«
»Jesus-Handschriften!
Jesus-Handschriften! Ach, um Gottes willen!« Er hielt die Zeitung mit
ausgestreckten Armen von sich und starrte entgeistert darauf. Dann fiel er
rücklings in seinen Sessel. »Jesus-Handschriften gefunden! Und noch dazu mit
einem Fragezeichen versehen! Gott, ist das vielleicht billig!«
Unter der Überschrift war das
Foto einer Nachrichtenagentur abgedruckt, das Dr. John Weatherby mit einem der
großen Tonkrüge in den Armen am Rande der Ausgrabungsstätte zeigte. Die
Unterschrift des Bildes lautete: »Archäologe Dr. John Weatherby aus
Südkalifornien hält einen Tonkrug, der eine der in Khirbet Migdal gefundenen
Schriftrollen enthielt.«
Ben starrte ungläubig auf die
Zeitung, als wäre er vom Blitz getroffen worden.
»Lesen Sie die Geschichte«,
forderte Judy ihn auf. Sie räumte sich einen Platz auf dem Schreibtisch frei
und setzte sich auf die Kante. Ihr Gesicht wirkte blaß und traurig. Sie hatte
ihm diese Neuigkeit nur sehr
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