Der Fluch der Schriftrollen
begann, in dem glitschigen Durchgang auf und ab zu gehen und
kümmerte sich nicht um den Nieselregen, der auf ihn herabfiel. Je näher der
Augenblick rückte, da er die nächste Rolle lesen würde, desto unerträglicher
wurde das Warten. Und als er so mit hinter dem Rücken gefalteten Händen hin-
und herlief, war sich Ben völlig darüber im klaren, daß ein unsichtbarer Geist
an seiner Seite harrte. Es war David Ben Jona. Er paßte auf, daß die nächste
Rolle auch sicher ankäme.
Als der Briefträger
auftauchte, stürzte Ben auf ihn zu. »Messer? Wohnung dreihundertzwei? Lassen
Sie mich nachschauen.« Der Mann blätterte die Post in seinen kalten Händen
durch. »Muß wohl ein Scheck sein. Richtig? Es scheint, daß sich nur Leute, die
auf Schecks warten, in der Nähe der Briefkästen herumtreiben.« Er hatte den
Stoß fertig durchgesehen. »Nee, da gibt es keinen Brief für Messer. Tut mir
leid.«
Ben schrie beinahe auf. »Es
muß aber einer dabei sein! Sehen Sie noch einmal nach. Ein großer, brauner
Umschlag.«
»Schauen Sie, Mister, Sie
können sich selbst überzeugen. Hier ist nichts dabei.«
»Wie steht es denn mit Ihrer
Tasche? Schauen Sie doch dort einmal nach!«
»Für diese Adresse ist da
nichts drin.«
»Er ist eingeschrieben!« rief
er. »Ein eingeschriebener Brief!« Der Briefträger hob den Zeigefinger. »Oh, ein
Einschreiben, sagen Sie. Ja. Da habe ich eines für diesen Block. Der Empfänger
ist gewöhnlich nie zu Hause, um dafür zu quittieren. Lassen Sie mich
nachsehen…« Er durchstöberte ein Seitenfach seiner Ledertasche. »Hier ist es.
Nicht zu glauben. Es ist tatsächlich für Sie. Wenn Sie hier bitte
unterschreiben wollen.«
Ben nahm zwei und drei Stufen
auf einmal, um nur schnell wieder in die Wohnung zu gelangen. Als er
schließlich drinnen war, lehnte er sich schwer atmend gegen die Tür und starrte
auf den Umschlag. Eine plötzliche Erregung durchfuhr seinen Körper wie ein
Blitz, und in einer Mischung aus Freude, Besorgnis und Überschwang begann er zu
zittern.
Während er auf Weatherbys
vertraute Handschrift hinabsah, flüsterte Ben: »David. Oh… David…«
Kapitel Elf
Obgleich Eleasar darauf
drang, daß ich wieder bei ihm wohnen solle, konnte ich dieses Angebot nicht
annehmen. Es war das Heim von braven Leuten, von frommen Juden, und ich fühlte
mich nicht länger als einer der Ihren. Ich mußte mich auf meine eigene Weise
mit Gott versöhnen und mir selbst einen neuen Lebensinhalt schaffen. Als
Eleasar mir eine Lehre in seinem Käseladen anbot, lehnte ich abermals ab. Als
mein Vater mich bat, nach Magdala zurückzukehren und dort mein eigenes
Fischerboot zu betreiben, schlug ich auch das aus.
Eines Tages ging ich aus der
Stadt hinaus und begab mich zu dem Haus des Olivenhändlers, dessen Wein ich
damals mit Saul getrunken hatte. Ich erzählte ihm alles, was in diesen sechs
Monaten geschehen war, und machte ihm einen Vorschlag. Da er ein kinderloser
Witwer war und einen Olivenhain und eine Ölpresse zu bewirtschaften hatte,
würde ich für ihn zu einem Lohn arbeiten, der weit unter dem Durchschnittsverdienst
eines Tagelöhners lag. Er war froh über mein Angebot, denn er hatte schon etwas
Zuneigung zu mir gefaßt und erinnerte sich an die Tage, an denen ich ihm die
einsamen Stunden vertrieben hatte. Aber er wollte mir keinen Sklavenlohn
bezahlen. Was immer ich auch getan hatte, war geschehen. Die Sünden der
Vergangenheit waren vorbei. Wir würden nicht zurückblicken.
Und so kam es, daß ich
schweren Herzens von Eleasar Abschied nahm und in der bescheidenen Behausung
des Olivenhändlers eine neue Bleibe fand. Ich sah Rebekka selten, aber ich
träumte jede Nacht von ihr. Eines Tages, als wir allein miteinander waren und
ich es wagte, ihre Hände in die meinen zu nehmen, schwor ich ihr meine Liebe
und versprach ihr, daß der Tag kommen werde, an dem ich einen würdigen Ehemann
abgäbe. Doch bis dahin mußte ich mich vor Gott und den Menschen bewähren. Ich
mußte mich als würdig erweisen, wieder unter Juden leben zu können.
Mit Saul traf ich häufig
zusammen. Er kam zur Ölpresse und aß Käse und Brot mit mir. Was er mir von
Eleasar und der Schule erzählte, tat mir im Herzen weh, und es war, als ob ein
Messer in meiner Brust umgedreht wurde. Und doch bat ich ihn nicht, darüber zu
schweigen, denn von diesen Dingen zu hören war meine Strafe. Saul würde eines
Tages den Titel des Schriftgelehrten erlangen und hocherhobenen Hauptes durch
die Menge
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