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Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Römern gekreuzigt wurde und dann angeblich von den Toten auferstanden sein
soll? Und wer waren die Zwölf, die David erwähnte?«
    »Nun gut. Er war also ein
Christ oder vielmehr ein Nazaräer, wie sie in dieser Gegend hießen. ›Christen‹
waren in Rom und Antiochia. Nazaräer gab es nur in Jerusalem. Da bestand ein
Unterschied, wissen Sie?« Ben sah Judy fragend an.
    »Ich denke, ich weiß etwas
darüber. Es gab eine Jerusalemer Kirche und eine römische Kirche.« Judy saß
dicht neben Ben auf der Couch. Sie war ihm so nahe, daß sie ihn fast berührte,
und sprach gedämpft weiter. »Nach der Zerstörung Jerusalems überlebte nur die
römische Kirche.«
    »Das ist es im Grunde. Also
war David… einer von ihnen.«
    »Was ist denn so schlimm
daran? Das ist doch großartig! Diese Schriftrollen werden so viele
Wissenslücken schließen, so viele historische und theologische Theorien
beweisen und andere widerlegen. Sie werden Licht in die dunklen Anfänge der
Kirche bringen. Denken Sie an die Erkenntnisse, die dadurch gewonnen werden
können, Ben. Was sollte daran schlecht sein?«
    »Nichts«, war alles, was er
erwiderte.
    Judy überlegte einen Moment.
»Wovor fürchten Sie sich? Davor, daß diese Rollen vielleicht die Existenz eines
Mannes beweisen könnten, an die Sie lange Zeit nicht geglaubt haben?« Ben fuhr
zu ihr herum. »O nein! Ganz und gar nicht! Und ich habe auch niemals gedacht,
daß Jesus erfunden sei, weil es ja sicher irgendeine Grundlage für die
Evangelien geben muß. Nein, Jesus lebte, aber er war nicht der, für den
jedermann ihn heute hält. Er war nur ein jüdischer Wanderprediger, der eine
besondere Ausstrahlung auf Menschen besaß. David wird uns in dieser Hinsicht
nicht mehr sagen, als wir schon wissen. Es besteht kein Zweifel, daß es vor dem
Jahr siebzig unserer Zeitrechnung eine messianische Bewegung gab und daß
Essener und Zeloten darin verstrickt waren. Das hat David bestätigt, weiter
nichts.«
    »Was stört Sie dann, Ben?«
    »Was mich stört?« Er wandte
seinen Blick von ihr ab und seufzte tief. »Als ich vierzehn Jahre alt war, litt
ich an einer unersättlichen Neugierde. Ich hatte auch die schlechte
Angewohnheit, alles zu hinterfragen. Meine Mutter und meine Lehrer beriefen
sich auf die Thora und betrachteten sie als Schutzschild gegen die
Verunreinigung durch die Gojim. ›Aber was für eine Verunreinigung?‹ fragte ich
mich. ›Und warum bezeichnen Sie uns als Jesus-Mörder?‹ Eins kam zum anderen,
bis ich mich selbst nicht mehr zurückhalten konnte. Ich mußte versuchen,
herauszufinden, was uns von den Gojim trennte. Oh, ich wußte schon, daß wir die
Thora hatten und sie nicht. Aber das war dem kleinen Benjamin Messer nicht
genug. Er wollte wissen, was die Christen anstelle der Thora hatten und was
daran so schlimm war.«
    Sie saßen mehrere Minuten
lang im Dunkeln. Ben durchlebte wieder die Schrecken der Vergangenheit, während
Judy geduldig darauf wartete, daß er fortfuhr.
    »Ich fing an, regelmäßig in
die Bibliothek zu gehen, um das Neue Testament zu lesen. Es interessierte mich
einfach, obwohl ich nicht im geringsten an das glaubte, was da stand. Ich las
es immer wieder und suchte nach irgendeinem Anhaltspunkt, warum die Christen
daran glaubten. Das ging eine Weile so, bis ich schließlich aus Leichtsinn ein
Exemplar mit nach Hause nahm. Über eine Woche lang hielt ich es in meinem
Zimmer versteckt, bevor meine Mutter es fand. Und Judy…« Er stockte. »Sie trieb
es mir gehörig aus. Ich meine, sie prügelte mir die Seele aus dem Leib. Ich
kann mich nicht mehr an die Ausdrücke erinnern, mit denen sie mich beschimpfte,
so sehr fürchtete ich um mein Leben. Sie tobte wie eine Wahnsinnige. Als ob die
Horrorgeschichten vom Konzentrationslager nicht schon gereicht hätten, als ob
die Verherrlichung meines heldenhaften Vaters nicht schon genug gewesen wäre,
so mußte sie jetzt den Mist aus mir herausprügeln, um mir ein wenig Judentum
einzuhämmern.« Ben beugte sich nach vorn und legte seine Stirn auf seine Knie.
»Mein heldenhafter Vater! Oh, um Gottes willen! Warum verurteilt jedermann die
Juden von Auschwitz, weil sie sich wie Schafe zur Schlachtbank führen ließen?
Was zum Teufel hätten sie denn tun sollen? Was hätten sie tun können? Mein
Vater hatte einem SS-Offizier ins Gesicht gespuckt und Hitler ein Schwein
genannt. Dafür wurde er dann dazu verurteilt, lebendig begraben zu werden. Und
weil meine Mutter die Frau dieses heldenhaften Juden war, hetzte man

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