Der Fluch der Schriftrollen
doch die letzte Rolle, nicht wahr?«
»Hm ja. Die nächste Rolle
wird die letzte sein. Aber nicht, weil David danach keine mehr schrieb…«
»Was soll das heißen?« Sein
Herz begann zu pochen. »Es ist die letzte, die Weatherby schicken wird. Die
wirklich letzte Rolle, die David schrieb, konnte nicht geborgen werden. Sie war
nur noch ein Teerklumpen.«
Kapitel Dreizehn
Ben las Weatherbys Brief zum
zehnten Mal, doch nichts änderte sich. Die Nachricht war und blieb
niederschmetternd. Wie bei Rolle Nummer drei war der Tonkrug Nummer zehn schwer
beschädigt worden. Zweitausend Jahre der Fäulnis und des Zerfalls hatten ihr Zerstörungswerk
vollbracht. Die letzte Rolle war unwiederbringlich verloren.
Dies war der schlimmste Tag
in Bens Leben. Am Vorabend, nachdem Judy ihm die Nachricht eröffnet hatte, war
Ben in eine solche Wut geraten, daß er Gegenstände an die Wand geschmettert und
Judy so in Angst versetzt hatte, daß sie im Laufschritt aus der Wohnung floh.
Dann war er in einen tiefen, traumlosen Schlaf gesunken, der fast einem Koma
gleichkam. Am nächsten Morgen war er mit dem Gefühl erwacht, als hätte er eine
Zeitlang im Reich der Toten geweilt. So war Davids letzte Rolle auf ewig
verloren, und es gab keine Möglichkeit, herauszufinden, was darauf gestanden
hatte. Dies bedeutete, daß sich nun alles um Rolle neun drehte. Ben betete
verzweifelt darum, daß es sich um einen langen und unbeschädigten Papyrus
handeln möge und daß David genug darin sagen möge, damit er sich den Ausgang
der Geschichte zusammenreimen konnte. Andernfalls…
Ben starrte auf den Geist,
der vor ihm stand, auf den Geist David Ben Jonas.
Andernfalls… würde er vielleicht
nie von ihm lassen. Möglicherweise würde er nicht verstehen, daß die letzte
Rolle nie eintreffen sollte, und Ben deshalb auf ewig heimsuchen.
Judy klopfte schüchtern an
der Tür, und als Ben öffnete, schloß er sie sofort in die Arme und küßte sie sanft
auf die Stirn. »Es tut mir leid wegen letzter Nacht«, murmelte er. »Es tut mir
so unbeschreiblich leid. Gegenstände nach dir zu werfen, wie ein Wilder
herumzutoben… Ich weiß wirklich nicht, was…«
»Mach dir nichts daraus,
Ben«, erwiderte sie, ihr Gesicht an seiner Brust vergraben. Auch für sie war es
eine schlimme Nacht gewesen. Und die Entscheidung, zurückzukehren, hatte ihr
großen Mut abverlangt. Doch die Liebe hatte ihr geholfen, ihre Angst zu
überwinden. »Ich hätte dich bestimmt nicht verletzt«, beteuerte er. »Warte.«
Sie legte ihre Fingerspitzen auf seine Lippen. »Sprich nicht darüber. Wir
wollen es nicht mehr erwähnen, in Ordnung?« Er nickte.
»Ich bin gekommen, um mit dir
auf die nächste Rolle zu warten.« Sie bereitete schnell ein Mittagessen, das sie
wortlos verzehrten. Dann versuchten sie gemeinsam, im Arbeitszimmer Ordnung zu
schaffen. Eine Menge Blätter mit übersetztem Text lagen überall verstreut. Sie
mußten aufgesammelt, in die richtige Reihenfolge gebracht und für Weatherby
getippt werden. Die Möglichkeit, daß er von den anderen beiden
Handschriftenkundlern laufend über den neuesten Stand der Übersetzung
unterrichtet werden könnte, war ihnen bisher gar nicht eingefallen. Es war
ihnen auch nicht in den Sinn gekommen, daß sich ein großes Archäologenteam in
Jerusalem mit den Papyrus-Blättern beschäftigte. Für Ben und Judy war dies zu
einer persönlichen Angelegenheit geworden, die nur ihn selbst und David betraf.
Ben bestand darauf, daß sie schon um zwei Uhr nach unten gehen sollten,
obgleich die Post immer erst um Punkt vier Uhr kam. Voll Erwartung setzten sie
sich auf die Stufen, und jeder von ihnen hoffte inständig, wenn auch aus
verschiedenen Gründen, daß die letzte Schriftrolle heute ankommen möge.
Als sie eintraf, wurde Ben
vor Aufregung beinahe ohnmächtig. Er zitterte so heftig, daß Judy den
Empfangsschein unterschreiben und Ben dann die Treppe hoch bis in die Wohnung
helfen mußte. »Du schwitzt ja«, bemerkte sie, als sie drinnen waren, »und da
draußen war es kalt.«
»Ich dachte schon, sie würde niemals
kommen. Ich dachte, sie würde niemals kommen.«
»Jetzt ist sie ja da, die
letzte Rolle. Wir wollen sie gleich lesen, Ben.«
Den Fotos lag kein
Begleitschreiben bei, und zu Bens grenzenloser Freude stellte er beim schnellen
Überfliegen fest, daß die Papyrusrolle lang und ziemlich gut erhalten war. »An
diesen beschädigten Ecken hier können wir wahrscheinlich recht genau raten, was
dort geschrieben stand.
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