Der Fluch der Sphinx
wickelte eine Anzahl von Ringen aus massivem Gold in einen Lumpen, um dann das Bündel aus Versehen auf den mit zerbrochenem Gerät übersäten Fußboden fallen zu lassen. In fieberhafter Hast warfen sie ihren Raub in Binsenkörbe. Iramen löschte die Öllampe, schob seinen Korb in den Tunnel und kletterte hinterdrein. Kemese und Amasis schlossen sich ihm an. Auf der Schwelle blieb eine als Lotosblüte gearbeitete Schale aus Alabaster liegen. Sobald die Diebe die Grabstätte verlassen hatten, eilten sie nach Süden, um die Entfernung zwischen sich und den Wächtern der Totenstadt zu vergrößern. Amasis hatte sich zuviel Beute aufgeladen, und um seine rechte Hand frei zu bekommen, verbarg er einen blauen Fayencebecher unter einem Felsbrocken; dann rannte er weiter, die beiden anderen Männer einzuholen. Sie kreuzten die Straße zum Tempel der Hatschepsut, wandten sich nach Westen und tauchten in den weiten Landstrichen der Libyschen Wüste unter. Sie waren frei und reich; sogar sehr reich.
Emeni hatte die Folter nie am eigenen Körper gespürt, sich aber bisweilen schon gefragt, ob er sie wohl ertragen könne. Er konnte es nicht. Der Schmerz steigerte sich schnell von einem noch erträglichen Maß ins unerträgliche. Man hatte ihm gesagt, er werde mit dem Stock verhört. Er besaß keine Vorstellung davon, was das bedeutete, bis vier stämmige Wächter der Totenstadt ihn auf eine niedrige Bank drückten; er wurde von ihnen an Armen und Beinen festgehalten, und ein fünfter begann Emeni unbarmherzig auf die Fußsohlen zu schlagen.
»Halt, ich will ja alles sagen«, keuchte Emeni. Aber er hatte bereits alles erzählt, schon fünfzigmal. Er wünschte, er verlöre die Besinnung, aber dazu kam es nicht. Seine Füße brannten wie Feuer und schienen mit weißglühender Kohle versengt zu werden. Die heiße nachmittägliche Sonne verstärkte noch die Qual. Emeni heulte wie ein aufgespießter Hund. Er versuchte die Hand zu beißen, die sein rechtes Handgelenk umklammerte, aber jemand riß seinen Kopf am Haar zurück.
Als Emeni schließlich glaubte, den Verstand zu verlieren, winkte Prinz Maja, Oberhaupt der Wächter über die Totenstadt, lässig mit der vornehm gepflegten Hand, um anzudeuten, daß man die Prügel beenden solle. Der Mann mit dem Stock versetzte Emeni noch einen letzten Streich, ehe er den Befehl befolgte. Prinz Maja, der wie üblich an einer duftenden Lotosblüte roch, drehte sich seinen Gästen zu: Nebmare-nahkt, Stadtherr des Westlichen Theben, und Nenephta, Oberster Hofbaumeister und Bauaufseher Seiner Majestät Pharao Sethos’ I. Niemand sprach ein Wort. Nun wandte sich Maja an Emeni, der am Boden lag, weil seine Füße glühten.
»Sage mir nochmals, Steinmetz, woher du den Weg in Pharao Tutanchamuns Gruft wußtest.«
Man riß Emeni zu einer Sitzhaltung hoch; vor seinen Augen verschwammen die drei Edelleute, und nur allmählich klärte sich sein Blickfeld. Er erkannte den erhabenen Baumeister Nenephta.
»Von meinem Großvater«, stammelte Emeni mühsam. »Er gab die Pläne für die Gruft meinem Vater, der sie wiederum an mich weiterreichte.«
»Dein Großvater war Steinmetz beim Bau von Pharao Tutanchamuns Grab?«
»Ja«, antwortete Emeni. Er erläuterte noch einmal, daß er bloß so viel Geld hatte erlangen wollen, um seine Eltern einbalsamieren zu lassen. Er bat um Gnade und betonte dabei nachdrücklich, daß er sich freiwillig gestellt hatte, nachdem er seine Gefährten die Grabkammer schänden sah.
Nenephta beobachtete einen Falken, der sich in einiger Entfernung mühelos in den saphirblauen Himmel emporschraubte. Seine Gedanken schweiften vom unmittelbaren Verhör ab. Dieser Grabschänder machte ihm zu schaffen, denn er hatte bewiesen, wie leicht alle seine Anstrengungen, das Haus der Ewigkeit Seiner Majestät Sethos’ I. zu schützen, zunichte werden konnten. Plötzlich unterbrach er Emeni.
»Du bist also Steinmetz und arbeitest mit am Grabmal von Pharao Sethos I.?«
Emeni nickte und unterbrach seine flehentlichen Bitten. Er fürchtete sich vor Nenephta. Jedermann fürchtete Nenephta.
»Glaubst du, daß das Grab, das wir errichten, auch ausgeraubt werden kann?«
»Man vermag jedes Grab auszurauben, solange es nicht bewacht wird.«
Nenephta verspürte, wie die Wut in ihm hochstieg. Nur mit Mühe hielt er sich zurück, diese menschliche Hyäne, die alles verkörperte, was er verabscheute, höchstpersönlich niederzuschlagen. Emeni spürte seine plötzliche Gereiztheit und duckte sich
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