Der Fluch der Totenleserin totenleserin4
übernächsten.
Vater Gerhardt ritt nach Figères und überbrachte der erhabenen Tochter des Königs von England Grüße, Parfüm und Wein, in Weinblätter gewickelte Gänseleberpastete und Käse vom Bischof von Aveyron.
Da es bereits zu spät war, um die Prinzessin noch im Château zu stören, empfingen ihn der Bischof von Winchester, Vater Guy, Vater Adalburt und Doktor Arnulf – leicht verlegen – im kleinen Refektorium der Abtei, wo sie ein spätes Abendessen eingenommen hatten. (Der Prior war bereits zu Bett gegangen, er musste am Morgen Beete harken.)
»Ich fürchte, Ihr findet uns in unglücklicher Lage, Vater«, erklärte der Bischof. »Wie Ihr seht, sind wir hier durch widerliche Umstände auf unserer Reise gestrandet. Ich schäme mich, dass wir Euch nicht angemessener empfangen können.«
»Oh, sorgt Euch nicht, nein, sorgt Euch nicht!« Vater Gerhardt tat so, als sähe er den Spaten nicht, den jemand in der Ecke hatte stehen lassen, genauso wenig wie die Überreste des einfachen, bukolischen Mahles auf dem Tisch, auch nicht, dass der Mann hinter dem Stuhl des Bischofs der einzige Diener in diesem nicht mit Kerzen aus Bienenwachs, sondern mit Binsenleuchten erhellten Raum war.
Aber natürlich registrierte er das alles: Was Scarry gesagt hatte, erwies sich erneut als richtig.
Er nahm ein Glas Wein an und studierte die Gesichter der Männer. Vater Adalburt erwiderte seinen Blick mit dümmlichem Ausdruck, der Bischof von Winchester war ein müder alter Mann und die beiden, die auf seiner Seite sein würden, waren Vater Guy und Doktor Arnulf. Genau wie Scarry es gesagt hatte.
»Monseigneur, ich bringe einen Brief vom Bischof von Aveyron.« Er verbeugte sich und übergab das Schreiben. »Und jetzt, mit Eurer Erlaubnis, wäre ich dankbar für ein Bett für die Nacht. Es war ein langer Ritt.«
(»Gebt Ihnen den Brief und lasst sie allein, damit sie für sich sind, wenn sie ihn lesen«, hatte der Bischof ihm gesagt. »Der Verrat fällt ihnen leichter, wenn sie nicht von einem Unbekannten beobachtet werden.«)
Das sorgte für Unruhe. Ein Bett? Oh Gott, ein Bett! Der gute Bischof teilte sich bereits eines mit dem Prior, und die beiden Geistlichen und Doktor Arnulf belegten das einzige andere.
»Vielleicht kann Captain Bolt eines zur Verfügung stellen«, schlug Vater Guy vor und wandte sich mit scharfer Stimme an den Diener: »Peter, bringe er den guten Vater hinauf ins Château! Und dann komme er zurück und räume den Tisch ab! Es ist eine Schande, wie es hier aussieht.«
Als sich die Tür hinter Vater Gerhardt geschlossen hatte, griff er nach dem Brief. »Soll ich ihn vorlesen, Mylord?«
»Lest! Meine alten Augen versagen mir bei diesem Licht den Dienst.«
»Ein herzliches, achtungsvolles Willkommen vom Bischof von Aveyron an seinen Bruder im Herrn, den Bischof von Winchester. Dieser arme Landstrich fühlt sich durch die Anwesenheit der edlen Prinzessin und ihres religiösen Beraters, dem sein Ruf von Heiligkeit und Weisheit vorauseilt, geehrt …«
»Wie herzensgut«, sagte der Bischof von Winchester und wischte sich die Augen. »Ist das nicht herzensgut von Aveyron?«
Mehr als die Hälfte der Rolle war mit Komplimenten gefüllt, einer Einladung, den Bischofspalast zu beehren, und noch mehr Komplimenten.
Der Bischof von Winchester hatte zu nicken begonnen. Vater Adalburt machte sich auf seiner Tafel Notizen für seine nächste Predigt.
Dann, gegen Ende, kam der Brief auf den Punkt:
»Mylord, in Eurer Weisheit werdet Ihr wissen, dass die böse Irrlehre der Katharer sich in diesem Lande ausbreitet und einige von uns gegen die Ansteckung ankämpfen, damit sie nicht das gesamte Christentum erfasst. In diesem Zusammenhang muss ich Eurer Lordschaft zur Kenntnis bringen, dass Gott in diesem großen Kampf geruht hat, fünf dieser Abweichler in meine Hände fallen zu lassen. Wir haben sie in den Bergen aufgegriffen …«
Vater Guys Stimme hielt einen Moment inne, dann las er weiter.
»Für gewöhnlich würde es nicht mehr als einen Moment dauern, diesen Verbrechern – zwei Frauen in der Kleidung der Katharerinnen und drei Männern – das Strafmaß für das Predigen ihrer falschen Doktrin zuzumessen, behaupteten sie nicht, mit dem Gefolge Prinzessin Joannas verbunden zu sein. Ich halte das für die Unverfrorenheit derer, die falsche Lehren verbreiten, und doch fühle ich mich verpflichtet, es Eurer Lordschaft mitzuteilen. Solltet Ihr, mein teurer Bruder, diese Behauptung, wie ich erwarte,
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