Der Fluch des Andvari (German Edition)
Hannah und ihre Tochter abholen wollte.
Jedoch ließ er es sich nicht nehmen, noch einmal im Schlafzimmer vorbeizuschauen. Beate hatte sich in die Bettdecke eingekuschelt und döste. Er gab ihr einen zärtlichen Abschiedskuss.
„Zieh die Tür einfach ins Schloss, wenn du gehst“, sagte er leise. „Ich ruf dich an, wenn ich im Büro bin.“
„Aber lass mich nicht zu lange warten, Süßer“, hauchte sie.
„Ich freue mich schon auf heute Abend, mein Liebling.“
Daraufhin verließ Röwer die Wohnung. Dass Beate nun allein zurückblieb, beunruhigte ihn nicht. Er vertraute ihr. Viel mehr Angst bereitete ihm der Gedanke, dass sie ebenfalls ins Visier des Ordens geraten könnte.
Diffuses Licht erfüllte die Wohnung, als Hannah das Badezimmer verließ. Die Dusche hatte sie erfrischt. Jetzt kochte sie in der Küche Kaffee. Regen klatschte gegen die Fensterscheiben. Dicke Tropfen plätscherten auf die Dachschindeln.
Hannah hatte unruhig geschlafen, war immer wieder aufgewacht, hatte sich von einer Seite auf die andere gewälzt. Ihr Alptraum war heftiger denn je gewesen. Die blonde Frau hatte sie durch die dunkle Burg verfolgt, über Treppen, durch Korridore, an den Zinnen entlang. Schließlich lief Hannah den Kuttengestalten direkt in die Arme. Sie hielten sie fest, bis die Frau erschien. Ihre Augen waren stark mit blauer Tusche betont. Verzweifelt hatte sich Hannah gewehrt, doch letztendlich hatte sie sich auf einem Opferaltar wiedergefunden. Sie hatte geschrien und war aufgewacht. Wer waren diese finsteren Gestalten? War die Frau Brünhild, die Untote, von dem Röwer berichtet hatte?
Ihre Gedanken beschäftigten sich auch mit dem gestrigen Abend. Dass ausgerechnet Kommissar Röwer Beates Partner war, konnte Hannah noch immer nicht glauben. War die Welt wirklich so klein? Warum hatte das Schicksal sich gegen sie gewandt? Röwer war ihr sympathisch und sie hatte angefangen, für ihn zu empfinden. Ihre Freundin hatte diese aufkeimende Hoffnung schlagartig erstickt. Es betrübte sie. Aber sie durfte keinem der beiden böse sein.
Gedankenversunken schenkte sie sich die erste Tasse Kaffee ein und genoss den heißen, herben Geschmack.
Dann wurde es Zeit, Julia zu wecken. Das Mädchen war bereits wach, rieb sich aber noch verschlafen die Augen. Hannah zog die Vorhänge auf.
„Guten Morgen, Prinzessin. Aufstehen.“
„Hallo, Mama“, murmelte Julia und stieg aus dem Bett.
„Hast du gut geschlafen?“
„Ich habe von einer großen Schlacht geträumt.“
„Das klingt aber grausam.“
„Nein, noch hat sie nicht begonnen. Aber eine Elfenfrau wird mich dorthin bringen.“
Mit diesen Worten verschwand Julia im Badezimmer. Hannah sah ihr verwundert nach. Doch es war nicht das erste Mal, dass ihre Tochter die Fantasien der Bücher in ihren Träumen auslebte. So ging Hannah in die Küche zurück, bereitete das Frühstück und die Lunchbox für die Schule zu. Nachdenklich trank sie eine zweite Tasse Kaffee.
„Wann wollte Jochen denn kommen?“, fragte Julia, als sie die Küche betrat. Sie hatte sich bereits angezogen.
Hannah sah auf die Uhr über der Tür. „In einer viertel Stunde. Du kannst noch in Ruhe essen.“
Freudig stürzte sich Julia auf ihren Kakao und trank. Liebevoll betrachtete Hannah sie dabei. Wie jung und schutzbedürftig das Mädchen noch wirkte. Sie hätte keine Chance gegen den Orden. Sie beide wären diesen Männern nicht gewachsen. Der Gedanke ließ sie innerlich frösteln.
Ihre Tochter bemerkte den Blick und fragte: „Alles in Ordnung, Mama?“
„Ja“, log sie.
„Denkst du an Jochen?“
Es erstaunte Hannah. „Wie kommst du denn darauf?“
„Du magst ihn, und jetzt ist er mit Beate zusammen.“
„Ach, Prinzessin“, erwiderte sie wehmütig und streichelte ihr über den Kopf. „Mit den Männern ist es immer gleich. Ich hoffe nur, dass du nie solch eine Erfahrung machen musst.“
„Jungs sind blöd“, pflichtete Julia bei. Als sie das Brötchen aufgegessen hatte, fragte sie: „Darf ich heute zum Reiten?“
Prüfend sah Hannah aus dem Fenster. Der Himmel war grau und trist, es goss in Strömen. „Ich hoffe mal, dass das Wetter heute Nachmittag besser wird. Zieh in jedem Fall deinen Regenmantel an. Und deine Stiefel vielleicht auch schon.“
Sie wollte es ihrer Tochter nicht verwehren. Bei ihren Pferden fühlte sich Julia wohl, für sie war es schön, auf deren Rücken zu entfliehen und dem Horizont nachjagen zu können. Hannah selbst hatte seit zehn Jahren nicht mehr auf
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