Der Fluch des Andvari (German Edition)
Grund für den hohen Eisenanteil, wie er bei den Messungen festgestellt worden war, noch nicht ausgemacht. Aber Steinhagen musste vorsichtig sein. Er hatte erste skeptische Blicke bei den Ingenieuren bemerkt; die Männer waren nicht dumm, doch bislang hatten sie keine Fragen gestellt. Immerhin hatten sie ein eigenes Interesse daran, einen bedeutenden Fund zu machen, der ihnen Ruhm und Anerkennung versprach. Es war ein gewagtes Unterfangen. Aber Steinhagen hatte seine Leute instruiert: Sollten die Ingenieure den Schatz finden, bedeutete dies ihr Todesurteil.
Doch auch Holler bereitete ihm Sorgen. Der Mann hatte sich in den vergangenen Wochen verändert. Er war nicht mehr der Soldat, der seine Aufträge ohne Regung und Fragen ausführte. Immer mehr Emotionen kamen ins Spiel. Vor allem, seit er Hannah Jenning beobachtete. Holler war scharf auf die Frau, ungeachtet der Konsequenzen, die sich für ihn daraus ergeben würden. Steinhagen würde es nicht verhindern können, aber er musste vorbereitet sein. Wenn Holler in die Enge getrieben würde, könnte er Thor alles erzählen, was er wusste. Der Meister ahnte schon seit langem, dass Steinhagen ihn hinterging – dann hätte er einen Beweis. Die Ordensbrüder würden den Darstellungen des Meisters folgen, schließlich hatte sein Wort uneingeschränkte Autorität. Da half nur List. Jetzt könnte Steinhagen den Mitschnitt seines Gesprächs mit Pöhlmann verwenden. Entsprechend manipuliert könnte er ihm die Intrige mit Holler und den Verrat am Orden anlasten. Damit könnte er den Führungszirkel täuschen und jede Schuld von sich weisen.
Dennoch brauchte er einen zusätzlichen Trumpf, falls sein Bluff nicht überzeugen sollte. Der Hort der Nibelungen wäre ein hervorragendes Druckmittel. Doch er hatte keine konkrete Spur. Nachdenklich löschte Steinhagen die Zigarre. Was bot sich an Alternativen? Des Jägers Tochter wäre ein geeignetes Pfand. Jene Person, die über das Schicksal des Schatzes entscheiden würde. Steinhagen kannte die Prophezeiung, oder besser: jenen Fluch, mit dem Brünhild damals belegt worden war, als sie sich an Siegfrieds Grab das Leben nehmen wollte. Odin hatte sie als Strafe zu ewigem Dasein verdammt, das sie nur mit einem verwunschenen Schwert beenden konnte. Des Jägers Tochter würde ihr dabei zur Seite stehen. Die Idee gefiel Steinhagen, denn er wusste, wer diese Person war. Nur war es nicht leicht, an sie heranzukommen. Aber vielleicht sollte er auf Holler setzen. Grinsend griff Steinhagen nach dem Whiskyglas. Sein Plan war ausgezeichnet. Wäre des Jägers Tochter erst einmal in seiner Gewalt, würde er die Regeln bestimmen und hätte das Druckmittel gegenüber Jenning. Zufrieden leerte Steinhagen das Glas in einem Zug.
Nach dem Abendessen war Hannah mit ihrer Tochter ins obere Stockwerk gegangen, um sie ins Bett zu bringen. Es war bereits spät und Julia entsprechend müde.
Als sie sich ihren Schlafanzug anzog, fragte sie: „Wird Jochen die Nacht bei dir schlafen, Mama?“
Hannah sah sie überrascht an. „Warum fragst du mich das? Er ist Beas Freund.“
„Na und“, entgegnete Julia forsch.
Hannah konterte: „Es schickt sich nicht, jemandem den Partner auszuspannen. Schon gar nicht der besten Freundin.“
„Aber wenn du ihn liebst?“
„Ich liebe ihn nicht. So, ist das nun geklärt?“
„Aber ich mag ihn. Hast du gesehen, wie er dich beim Essen angehimmelt hat?“
„Das war doch nur Theater für meine Eltern. Sie müssen glauben, wir wären verliebt.“
Julia legte sich ins Bett, zog die Decke über. „Ich wünschte mir, es wäre kein Theater.“
Hannah setzte sich auf die Bettkante und schaute ihre Tochter lange an, bevor sie erwiderte: „Meine arme Prinzessin. Es gibt Momente im Leben, die müssen wir einfach geschehen lassen.“
„Wie meinst du das, Mama?“
„Eine Beziehung beruht immer auf gegenseitigen Gefühlen. Wenn du nichts für einen Menschen empfindest, kannst du noch so viel träumen … es wird nichts ändern. Röwer ist charmant und fürsorglich, doch …“
„Und später vielleicht?“
„Liebe lässt sich nicht erzwingen. Warte, bis du deine ersten Erfahrungen machst. Dann wirst du mich besser verstehen. Und jetzt wird geschlafen, Prinzessin.“ Sie hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Träum was Schönes.“
„Gute Nacht, Mama.“
Hannah ging zur Tür, schaltete das Licht aus und sah noch einmal zu ihrer Tochter, bevor sie das Zimmer verließ. Julia hatte am Nachmittag im Park sehr viel
Weitere Kostenlose Bücher