Der Fluch des Andvari (German Edition)
ließen ihn klar Position beziehen. Im Gegenzug hatte Holler nie Fragen gestellt. Er wusste nicht, weshalb Steinhagen Jennings Sohn hatte töten lassen und dasselbe vermutlich mit dessen Tochter und Enkelin plante. War es jetzt an der Zeit, diese Fragen zu stellen? Steinhagen würde Holler fallenlassen, wenn er Julia Jenning nicht in seine Gewalt bekäme. Holler brauchte eine Lebensversicherung.
Hamburg. Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel. Eine milde Brise sorgte für frühlingshafte Temperaturen. Abgespannt von der langen Fahrt streckte sich Hannah zunächst, als sie ausstieg. Beate hatte direkt vor dem Eingangsportal gehalten.
Rogatus und eine junge Bedienstete kamen die Freitreppe hinunter. „Willkommen zu Hause, Frau Hannah“, grüßten beide höflich.
„Hallo“, entgegnete sie freundlich.
„Wir haben Sie erst am späten Abend erwartet“, fügte Rogatus hinzu. „Ihr Herr Vater ist noch nicht zu Hause.“
„Ja, ich weiß, Rogatus. Ich habe früher Feierabend gemacht als geplant“, erwiderte sie gelassen. „Ich habe zwei Freunde mitgebracht. Richten Sie bitte ein Gästezimmer für Frau Wittek her.“
„Sehr wohl.“
Die Bediensteten kannten Beate. Zweimal im Jahr kamen Wittek und seine Tochter übers Wochenende zu Besuch. Zum Golfen und abends ging es in die Oper.
„Herr Röwer“, fuhr Hannah fort und wies auf ihn, „wird in meinem Zimmer schlafen.“
Rogatus sah sie einen Moment verblüfft an. Er wollte etwas sagen, schwieg dann doch. Stattdessen wandte er sich dem Kofferraum zu und nahm die Gepäcktaschen heraus. Röwer half ihm. Hannahs Blick suchte derweil Julia. Das Mädchen hatte in der vergangenen Stunde nur noch genörgelt und wollte bereits in den Park laufen.
„Wo willst du hin, Prinzessin?“, stoppte Hannah sie.
„Zum Teich und spielen.“
Dort gab es eine Schaukel und verschiedene Klettergerüste. Hannah schaute Röwer auffordernd an.
Er verstand ihren Gedanken. „Lass uns erst das Gepäck ins Haus bringen. Dann zeigst du mir deinen Teich und wir toben gemeinsam. Einverstanden?“
„Och, nö“, entgegnete Julia genervt.
Hannah reagierte streng. „Julia, wir haben eine Vereinbarung.“
Während der Reise hatten sie sich darauf verständigt, dass Julia wie auch Hannah keinen Schritt allein machen sollten. Röwer sollte wenn möglich immer in der Nähe sein.
„Komm jetzt“, forderte sie.
„Okay“, erwiderte Julia plötzlich fröhlich. Mit tänzelnden Schritten stieg sie die breite Treppe hinauf und summte dabei leise vor sich hin.
Hannah folgte ihr und betrat die große Eingangshalle. Doch dieses Mal kam ihr alles klein und gedungen vor. Selbst die Frühlingssonne konnte sie kaum erwärmen. Für die nächsten fünf Tage war dies ihr Versteck, ihr Gefängnis. Daran würde auch der gesellschaftliche Abend am Samstag mit den vielen Gästen nichts ändern. Im Gegenteil – er vergrößerte die Gefahr eines Übergriffs. Hannah wusste, auch ohne mit Röwer darüber gesprochen zu haben, dass selbst die Überwachungskameras und hohen Mauern keinen Schutz vor den Schwarzen Engeln boten. Daher erschien ihr Angriff die beste Verteidigung zu sein. Sobald Julia im Bett wäre, würde sich Hannah an ihren PC setzen und mit ihren Recherchen im Internet beginnen. Sie musste endlich wissen, was damals vor 100 Jahren wirklich geschehen war.
Eine halbe Stunde später hatte Julia ihren Willen bekommen und tobte zusammen mit Röwer im Park herum. Hannah saß mit Beate auf einer Bank und beobachtete das lustige Treiben. Für ein paar Minuten schien die drohende Gefahr vergessen. Alles war erfüllt von Heiterkeit. Das unbeschwerte Lachen des Mädchens hallte durch die Luft. Sie wirkten wie eine glückliche Familie: Hannah, Julia und Röwer. Für einen Moment ertappte sich Hannah dabei, wie die Sehnsüchte sie überfielen, das Verlangen nach diesem Mann.
Bis plötzlich eine Hand sanft nach ihrer Hand tastete und sie zärtlich streichelte. Erschrocken fuhr Hannah herum. Verträumte, blaue Augen strahlten sie an, ein leicht geöffneter Mund mit vollen Lippen, ein liebevoll lächelndes Gesicht: Beate. Verwirrt verharrte Hannah, während ihre Freundin weiterhin ihre Hand liebkoste. Hannah spürte das heftige Pochen ihres Herzens in der Brust. Ihr wurde heiß und kalt im Wechsel. Etwas rührte sich in ihrem Innern, ihr Atem ging schneller. Dasselbe Gefühl, das sie bereits gestern Abend verspürt hatte. Wollte sie dieses Abenteuer tatsächlich wagen?
„Du bist nicht allein,
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