Der Fluch des Andvari (German Edition)
Jenning. 20 Uhr.
Die Geburtstagsfeier war in vollem Gang. Im Garten hingen bunte Lichterketten, zwischen Bäumen und an Masten. Auf dem Rasen standen vereinzelt kleine Pavillons. Ein umfangreiches Buffet mit erlesenen Speisen war auf der Veranda aufgebaut. Dazu eine Bar mit einem breiten Getränkeangebot: Wein und Spirituosen. Bedienstete in rot-weißen Roben liefen umher und kümmerten sich um das leibliche Wohl der Gäste, die in kleinen Gruppen zusammen standen, schwatzten und aßen. Eine Band sorgte für den musikalischen Rahmen. Es war eine ausgelassene und heitere Stimmung.
Hannah hielt sich von dem Trubel noch fern, hatte sich rasch umgezogen, eilte nun zur Bibliothek hinüber, wo ihr Vater wartete, um dann gemeinsam mit ihrer Mutter auf der Feier zu erscheinen. Die vergangenen Stunden waren voller Anstrengungen gewesen. Trotz perfekter Planung waren Aufbau und Beschaffung nicht reibungslos verlaufen. Musik drang in die Villa hinein. Angespannt betrat Hannah die Bibliothek. Ihr Vater stand am Fenster und blickte in die Abenddämmerung hinaus.
„Wollen wir, Paps?“, fragte sie verhalten.
Er reagierte nicht.
„Paps?“, wiederholte sie, während sie sich näherte. „Ist alles in Ordnung?“
„Ich wünschte, ich könnte es wieder gutmachen“, murmelte er.
Überrascht sah sie ihn an. „Wovon sprichst du?“
Lächelnd wandte er sich ihr zu. „Ach, nichts. Vielleicht werde ich auf meine alten Tage sentimental.“
Es irritierte sie.
„Ich habe in meinem Leben einige Fehler gemacht. Aber ich habe sie nie bereut.“
„Bis auf einen?“, fragte sie vorsichtig.
„Ja, bis auf einen.“
„Weiß Mama davon?“
Er schüttelte den Kopf. „Sie hat sich nie wirklich für meine Geschäfte interessiert. Und das ist gut so.“
„Möchtest du es mir erzählen?“
Er lächelte erneut. „Nein. Später vielleicht.“
Seine Worte beunruhigten Hannah. Auch sie wusste im Grunde nichts über seine Geschäfte und Entscheidungen. Sie hatte sich nie ernsthaft dafür interessiert.
„Hanni, du siehst bezaubernd aus“, äußerte er mit einem Mal fröhlich. „Das Kostüm steht dir ausgezeichnet.“
Sie trug ein türkisfarbenes Häkeltop, darüber ein Abendjäckchen und dazu lange Hosen in derselben Farbe. Eine Perlenkette mit einem roten Smaragd zierte ihren schlanken Hals. Das rote Haar hatte sie hochgesteckt.
„Oh, danke.“
„Damit wird dir heute Abend nicht nur dein Freund zu Füßen liegen“, scherzte er.
„Ihm werden die Augen aus dem Kopf fallen, wenn er mich so sieht“, lachte sie. „Er hält schon den ganzen Abend Julia bei Laune.“
„Er versteht sich gut mit deiner Tochter, nicht wahr?“
Sie nickte. „Sie hat ihn gleich bei der ersten Begegnung in ihr Herz geschlossen.“
Das war nicht einmal gelogen. Zwischen Röwer und Julia stimmte die Chemie. Sie würde ihn als nächsten Stiefvater sofort akzeptieren. Und Hannah? Das Glück ihrer Tochter war ihr sehr wichtig. Aber Liebe ließ sich nicht erzwingen.
„Jetzt sehe ich Sorgenfalten in deinem Gesicht“, hörte sie ihren Vater sagen.
Sie lächelte flüchtig. „Nein. Es ist alles in Ordnung.“
„Du weißt, Hanni, du kannst mit mir über alles reden.“
„Das weiß ich, Paps.“
Aber sie wollte ihm nicht die Wahrheit erzählen. Oder vielleicht doch? Was hinderte sie daran? Er war ihr Vater, dem sie immer vertraut hatte. Nie hatte sie Geheimnisse vor ihm gehabt. War es die Verbindung ihres Vaters mit Karl-Ludwig Steinhagen, die sie abhielt? Die Angst, ihr Vater könnte in die Machenschaften des Andvari-Ordens verstrickt sein? Doch das war absurd. Vielleicht sollte sie wirklich mit ihm darüber sprechen, später, wenn er ihr von seinem großen Fehler erzählen würde. Dann könnte sie sich ebenfalls offenbaren.
„Dann wollen wir die Gäste nicht länger warten lassen.“
Galant bot er ihr den Arm, und sie hakte sich bei ihm unter. Freudig durchquerten sie die Halle und gingen zum Wohnzimmer hinüber, wo ihre Mutter wartete. Gemeinsam betraten sie die Veranda.
Musik, gemischt mit den Gesprächen und dem Lachen der Gäste, erfüllte die milde Abendluft. Alle wirkten fröhlich, aßen und tranken. In diesem Moment war Hannah sehr glücklich, dass sich all die Anstrengungen gelohnt hatten. Als die Gäste Jenning sahen, verstummten ihre Gespräche. Die Musik brach ab.
„Ein Tost auf unseren Gastgeber!“, rief Hansen, der in der vordersten Reihe stand. „Reinhold Jenning, er soll leben!“
„Hoch! Hoch! Hoch!“, schallte es
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