Der Fluch des Andvari (German Edition)
zusammengetroffen.
Hannah zuckte zurück und lehnte sich rücklings gegen die Holzwand. Tief atmete sie ein und aus, versuchte, ihre Nervosität zu unterdrücken. Was sollte sie jetzt tun? Sie musste wissen, was ihr Vater mit Steinhagen besprach.
Plötzlich öffnete sich die Vordertür. Mehrere Männer kamen aus dem Hauptgebäude. „Bezieht eure Posten! Sichert das Gelände!“, befahl eine Stimme.
Erschrocken wich Hannah zur Scheunenecke zurück. Jetzt gab es kein Entkommen mehr. Die einzige Möglichkeit war die Rückseite des Gebäudes. Sie spurtete los. Die Scheune schien kein Ende nehmen zu wollen. Mehrmals strauchelte sie wegen abgebrochener Äste oder Unrat, der hier massenhaft herumlag. Einmal stürzte sie fast, fing sich aber im letzten Moment. Zu ihrem Glück war alles schon zu vermodert, so dass sie dabei keinen Lärm verursachte.
Schließlich erreichte sie die hintere Ecke des Haupthauses. Die Sicht auf den großen Platz war ihr durch den Korridor, der die beiden Gebäude miteinander verband, versperrt. So schlich sie an der Rückwand entlang, in der Hoffnung, irgendwo einen Eingang zu entdecken. Mittlerweile war es stockdunkel, der Mond spendete nur spärlich Licht.
Achtsam tastete sich Hannah voran, immer in Sorge von den Männern entdeckt zu werden. Einige der Fenster waren von innen mit Brettern zugenagelt. Die noch intakten Fenster waren dunkel. Im hinteren Teil des Gebäudes schien sich niemand aufzuhalten.
Endlich fand Hannah eine Tür. Vorsichtig griff sie nach der Klinke, drückte sie nach unten. Sie hielt die Luft an, zog an dem Griff. Aber nichts geschah. Die Tür war verschlossen. Wie erwartet. Hannah fluchte leise. Wie sollte sie hineingelangen?
Als sie fast die andere Ecke des Gebäudes erreicht hatte, schien plötzlich Licht durch eines der Fenster. Abrupt verharrte Hannah. Ihr Herz schlug wild. Im selben Moment öffneten sich die Flügel. Hannah sank auf die Knie und presste sich gegen die Hauswand. Sie glaubte, ihr rasender Pulsschlag müsste kilometerweit zu hören sein. Dann sah sie zwei Arme, die die Rahmen mit Riegeln befestigten. Hannah wagte nicht zu atmen. Regungslos kauerte sie an der Wand, Schweiß strömte ihr aus allen Poren. Erst nach einer Minute traute sie sich wieder zu bewegen. Ihr Blick glitt zu dem geöffneten Fenster. War das die Chance, auf die sie gehofft hatte?
Zögernd erhob sie sich. Mit klopfendem Herzen spähte sie über das Fensterbrett hinweg ins Innere. Ein langer Holztisch mit acht Stühlen zeigte sich in einem ansonsten spärlich eingerichteten Raum. Große, silberne Kelche standen auf dem Tisch. Dazu silberne Teller und Messer, die auf roten Tüchern lagen. Plötzlich vernahm Hannah Schritte, sie duckte sich. Jemand betrat den Raum. Ihre Neugier zwang sie jedoch, wieder aufzusehen. Millimeter um Millimeter hob sie ihren Kopf, um einen Blick zu erhaschen. Sie sah einen bärtigen Mann, der zwei Schüsseln mit Obst auf den Tisch stellte und sich anschließend wieder abwandte. Er schien eine Versammlung vorzubereiten. Hannah überlegte. Wollte sich ihr Vater noch mit dem gesamten Vorstand treffen? Oder - sie zuckte zusammen – wollte sich Steinhagen hier mit seinen Ordensbrüdern treffen? Und ihr Vater? War er noch da?
Entschlossenheit packte sie. Sie musste die Wahrheit erfahren! Wiederholt musterte sie den Raum, suchte nach einem möglichen Versteck, das sie in einem Wandschrank erspähte. Dann nahm sie allen Mut zusammen und stieg durch das Fenster ein. Atemlos verharrte sie einen Moment, starrte auf die offene Zimmertür, lauschte. Entfernt waren Stimmen zu vernehmen. Schritt für Schritt durchquerte Hannah den Raum, immer im Bewusstsein entdeckt zu werden. Nur der Schrank konnte sie dann retten.
Schließlich hatte sie die Tür erreicht. Jetzt gab es kein Zurück mehr!
Der anschließende Korridor führte links zu der verschlossenen Tür und rechts in den vorderen Teil des Gebäudes. Weitere Zimmer grenzten sich an. Mit pochendem Herzen stand Hannah da und lauschte. Es waren mindestens drei Männer, die sich unterhielten. Doch die Stimme ihres Vaters war nicht darunter. Dafür erkannte sie die von Steinhagen.
„Dieser Narr“, hörte sie ihn lachen. „Sobald er dieses Papier unterschreibt, habe ich die unumschränkte Medienmacht im Land. Dieses Dokument ist Milliarden wert.“
Er sprach zweifelsohne über ihren Vater. Aber wo war er? Wann würde er unterzeichnen? Es machte Hannah betroffen. Ihr Vater wollte sein Leben verkaufen, nur um sie
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