Der Fluch Des Bierzauberers
Not heraus geboren worden waren, jedoch dem Geschmack des Bieres dennoch weiterhalfen: Nelken, Muskat, Ingwer, Zitronenschalen, Lorbeerblätter, Melisse, Salbei, sogar Enzianwurzel. Sie verfolgten damit nicht nur die Absicht, das ohne Hopfen eher fade Bier zu aromatisieren, sondern zusätzlich Arzneibiere herzustellen.
Die Idee dazu kam von Anton, der eine weitere Einnahmequelle für die chronisch leere Verwaltungskasse witterte. »Jeder Brauer, der mittlerweile was auf sich hält, macht ein Arzneibier. Damit ist viel Geld zu verdienen.«
Zum Aromatisieren genügte es meist, einen leinenen Beutel in die gärende Biertonne zu hängen, während beim Arzneibier die flüchtigen Bestandteile der Kräuter, die als Arznei wirksam sein sollten, richtig im Brauhaus mitgekocht wurden. Beim Arzneibier ging es ebenso weniger um den Ersatz des Hopfens als um den charakteristischen Geschmack einer Medizin. Wermut war seit jeher als anerkannter Hopfensparer bekannt gewesen wie auch das Kardobenediktenkraut und das Tausendgüldenkraut. Solange es Hopfen in ausreichender Menge gegeben hatte, waren diese Kräuter für das Bierbrauen in Vergessenheit geraten. Jetzt, mit dem Erfolg der Arzneibiere, lebten die alten Rezepturen wieder auf. Auch an Nesselbier und Löwenzahnbier versuchten sich die Weferlinger Brauer mit Erfolg. Einige traditionelle Bierklärer, wie gekochte Kalbsfüße oder Leim, verwarfen beide für ihr Bier. Jedoch beileibe nicht über alle Zutaten herrschte Einigkeit. Ulrich entdeckte, durch Zufall und nach einigen Fehlschlägen mit anderen Hopfensparern, eine Substanz namens Süßholzsaft. Die wurde auch ›Lakritze‹ genannt. Ein Sud damit ließ die Biere beinahe klebrig und so nährstoffreich erscheinen, dass der Mangel an Hopfen gar nicht auffiel. Das Süßholzbier war für Ulrich befriedigend sowohl als normales wie auch als Arzneibier.
»Es schmeckt und nährt, und hilft zudem bei Husten, Katarrh, Magengeschwüren, Erkältungen und Hautgeschwüren«, frohlockte er seinem Vater gegenüber. »Was willst du mehr?«
»Ich werde kein Bier trinken, das nach Kaffee schmeckt! Niemals!«, kam die pampige, entrüstete Antwort. Die Lakritze roch und schmeckte ihm zu sehr nach dem ›Türkentrank‹, der im Krieg nach Deutschland gelangt und dessen Verbreitung nicht aufzuhalten war. Cord Heinrich Knoll hasste den Kaffee mit Inbrunst. Nicht nur als Konkurrenz zu seinem geliebten Bier. Er war beileibe nicht der Einzige, der sich von dem schwarzen Getränk mit seinem bitteren Geschmack an flüssiges, heißes Pech und damit an Krieg und Folter erinnert fühlte. Kaffee war auch der einzige Grund gewesen, weswegen er bislang einmal Streit mit Anton gehabt hatte. Dieser trank gern am Nachmittag einen pechschwarzen Aufguss dieses Teufelszeugs, und diese Angewohnheit hatte Knolls Zorn erregt. Tagelang hatten beide nach ihrem Streit kein Wort mehr miteinander gewechselt, bis sie sich schließlich doch – natürlich beim Bier – wieder versöhnten.
Mit dem Hopfen ging es in den folgenden Jahren wieder besser. Dennoch behielten sie die beliebtesten Rezepturen mit anderen Gewürzen bei.
Das nächste Frühjahr brachte die ersehnte Antwort von Lisbeth Magdalena. Die Postkutsche hielt eines Morgens in Weferlingen und ihr entstieg, mit allem nötigen Gepäck, die knapp zweiundzwanzigjährige Sophia Flügel. Wie ein Fabelwesen stand sie auf der Stufe der Kutsche auf der anderen Straßenseite. Schöner, als Ulrich sie je in Erinnerung gehabt hatte. Er errötete, während sie, die Taunässe ignorierend, übers Gras lief und zu ihm kam. Gekleidet wie ein junger Mann, lediglich ihre Brüste und die langen, hochgesteckten Haare verrieten das Gegenteil, wurden ihre Schritte schneller und immer schneller, bis sie schließlich Ulrich entgegen und in seine Arme flog. Neben der Überraschung, dass die junge Dame die gefährliche Reise allein und unbeschadet überstanden hatte, überwog die Freude des Wiedersehens, vor allem bei Ulrich.
»Tagelang, wochenlang habe ich meinen Vater bekniet, mir diese Reise zu erlauben«, erzählte Sophia. »Seitdem der Brief meine Schwägerin im letzten Jahr erreichte, wollte ich zu euch kommen. Lisbeth hat mittlerweile ihr drittes Kind geboren. Alle sind wohlauf und mein Vater ist so vollauf mit der Brauerei und seinen Enkelkindern beschäftigt, dass er mir schließlich die Erlaubnis zur Reise gab.« Einen chiffrierten Brief von Lisbeth für Ulrich hatte sie auch dabei.
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