Der Fluch des Denver Kristoff
erzählt?«
»Was hätte ich denn sagen sollen? Ihr hättet mir niemals geglaubt! Ihr hättet bloß behauptet, dass ich nur wieder die ganze Aufmerksamkeit auf mich lenken wollte.«
»Das stimmt nicht! Ich höre dir immer zu – wenn du wirklich etwas Wichtiges zu sagen hast. Was allerdings eher selten …«
»Du bist schuld daran, dass es so gekommen ist, Cordelia. Du musstest ja unbedingt ein Buch aus der Bibliothek mitgehen lassen …«
»Ich habe es ja nur geliehen und außerdem …«
»Sie hat aber gesagt: ›Du hast aus meiner Bibliothek gestohlen!‹ Erinnerst du dich oder warst du da etwa auch schon nicht mehr ganz da?«
»Hört auf zu streiten!«, schrie Eleanor. »Wo sind Mom und Dad?«
Brendan und Cordelia atmeten tief durch.
»Wir wissen es nicht«, gestand Brendan.
Cordelia versuchte, einigermaßen die Fassung zu bewahren, um Nell nicht zu erschrecken: »Sie sind verschwunden.«
»Dann müssen wir sie suchen«, stellte Eleanor fest.
Als Erstes sahen sie in der Zimmerecke nach, wo sie ihre Eltern zuletzt gesehen hatten. Bis auf jede Menge Scherben fanden sie nichts. Eleanor fing an zu weinen. Cordelia legte einen Arm um ihre kleine Schwester und gemeinsam kämpften die Geschwister sich bis in die Eingangshalle vor. Sie war ebenso wenig wiederzuerkennen wie das Wohnzimmer. Der Garderobenständer ragte aus einer Wand und von der griechischen Keramik war nur noch ein Haufen gezackter Puzzleteilchen übrig.
»Arsdottel hat’s überlebt«, stellte Brendan fest.
»Weil die Windfurie ihn gernhatte, als sie ein kleines Mädchen war«, meinte Cordelia. »Sie hat ihn verschont.«
Einen Moment lang starrten alle drei die unversehrte Büste an, dann betraten sie die Bibliothek. Cordelia zuckte zusammen. Rundherum nur noch kahle Wände, alle Regale waren verschwunden, die Leitern zerbrochen und der lange Holztisch in zwei Teile gespalten. Die meisten Bücher waren hinüber ins Wohnzimmer gewirbelt worden, nur einige wenige lagen noch auf dem Boden verstreut, teilweise mit geöffneten Buchdeckeln. Cordelia bückte sich und hob eines auf.
»Seht mal, The Fighting Ace! Das habe ich gerade gelesen, als die Windfurie uns angefallen hat. Ist das nicht verrückt?«
Brendan fragte sich kurz, ob es eines der drei Bücher gewesen war, die vor seiner Nase auf gigantische Ausmaße angewachsen waren, aber sie hatten jetzt wirklich andere Sorgen. »Wen interessiert das?«
»Mich interessiert es«, gab Cordelia zurück. Brendan schnaubte verächtlich und ging mit Eleanor weiter in die Küche. Cordelia fand die Stelle, bis zu der sie gelesen hatte, und benutzte einen Holzsplitter als Lesezeichen. Wie auch immer es mit der Villa Kristoff weitergehen würde, mit The Fighting Ace könnte sie jederzeit entfliehen.
In der Küche fanden sie eine noch größere Verwüstung vor: Der Kühlschrank leckte und war vollkommen verbeult; der Gitterrost des Gasherds war in eine Vitrine eingeschlagen und hatte das gute Geschirr zerschmettert. Der Inhalt einer aufgeplatzten Familienpackung Snacks lag in der Spüle. Die Kinder rannten nach oben, riefen verzweifelt nach ihren Eltern, doch die blieben unauffindbar.
Auch das obere Stockwerk lag in Trümmern – bis auf zwei Ausnahmen: Die Fotos auf dem Gang waren komplett unversehrt. Das war ja auch logisch, Dahlia würde wohl kaum ihre eigenen Familienfotos zerstören. Im Elternschlafzimmer entdeckte Cordelia allerdings noch etwas, das verschont geblieben war: die weiße Truhe mit den Messingbeschlägen und den Insignien ›RW‹.
»Bren? Nell? Seht mal hier, alles kaputt bis auf diese Truhe.«
»Die Windfurie muss sie irgendwie beschützt haben«, vermutete Brendan. »Vielleicht ist da etwas drin, was sie unbedingt behalten wollte.«
»Es könnte auch ein Zauber sein, eine Art magischer Schutz.«
»Ein was?«
»Na, so was wie ein magisches Zeichen, das etwas beschützt.«
Cordelia dachte nach. »Was ist mit ›RW‹? Was meint ihr, wer das ist?«
»Vielleicht ist es eine Sie«, überlegte Eleanor.
»Rutherford Walker«, sagte Brendan plötzlich wie aus dem Nichts. »Dr. Rutherford Walker, um genau zu sein.«
»Wer?«
»Unser Ururgroßvater. Dad hat mal seinen Namen erwähnt.«
»Du erinnerst dich daran, obwohl du ihn nur ein Mal gehört hast?« Cordelia war beeindruckt. »Wie kommt es dann, dass du in der Schule so schlechte Noten hast?«
»So unwichtiges Zeug aus der Schule merke ich mir eben nicht.«
»Diese Truhe könnte der Schlüssel zu allem sein«, sagte Cordelia.
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