Der Fluch des Denver Kristoff
Kopf hoch, es schlackerte klappernd mit Armen und Beinen. »Sieht aus wie ein altes medizinisches Modell. Oder die berühmte Leiche im Keller. Noch nie davon gehört?«
»Sehr witzig«, schimpfte Brendan. »Immerhin war das mal ein echter Mensch.«
Achselzuckend verstaute Will das Skelett wieder im Wandschrank, als auch schon Cordelia und Eleanor aufgeregt herbeigerannt kamen und wissen wollten, warum ihr Bruder so geschrien hatte.
»Sag ihnen, wir hätten eine Spinne gesehen oder so was«, flüsterte Brendan Will zu. »Wenn Eleanor dieses Skelett sieht, braucht sie mindestens zwanzig Jahre Therapie, um den Schock zu verarbeiten.«
»Was ist passiert?«, fragte Cordelia.
»Nichts, Brendan hat den Wandschrank geöffnet und eine Spinne gesehen«, sagte Will.
»Groß?«, fragte Eleanor.
»Riesig«, sagte Brendan. »Wahrscheinlich eine Tarantel.«
»Eine Tarantel?«, rief Eleanor aus. »Ich habe noch nie eine lebende Tarantel gesehen!«
Bevor Will und Brendan reagieren konnten, hatte sie den Schrank schon aufgerissen.
Und wieder kippte das Skelett heraus und begrub Eleanor wie eine Knochendecke unter sich. Kreischend versuchte Eleanor, sich davon zu befreien, doch das Wirrwarr aus Fingern, Knochen und Zähnen verfing sich in ihren Haaren und ihrer Kleidung. Sie schrie wie am Spieß, zappelte und strampelte, doch es half nichts, im Gegenteil: Sie verhedderte sich nur noch mehr. Einen Moment lang sah es aus wie die Aufführung einer rasanten Entfesselungsnummer im Cirque du Soleil, dann stürmte Eleanor laut kreischend durch den Gang davon, das klappernde Skelett hinter sich herschleifend.
39
N ell, komm zurück!«, schrie Brendan, aber Eleanor hörte ihn schon nicht mehr. Erst in der Kammer mit dem Treibholzregal konnten ihre Geschwister und Will sie einholen.
»Hör auf zu zappeln, Nell! Beruhig dich, du verhedderst dich sonst noch mehr!«, sagte Cordelia.
»Es lebt!«, brüllte Eleanor. »Es will mich erwürgen!«
»Das bildest du dir nur ein.« Cordelia kniete sich vor ihre Schwester, wie Mrs Walker es auch immer tat. »Entspann dich. Alles wird gut.«
Nach und nach gelang es Cordelia, Eleanor von dem anhänglichen Skelett zu befreien. Zuerst löste sie die Finger von den Schultern, dann entwirrte sie die Arme und Beine. Nach kurzer Zeit war von dem furchterregenden Anhängsel nur noch ein Haufen Knochen auf dem Fußboden übrig.
»Auf meinen Sachen sind überall Knochenabdrücke, siehst du?«, jammerte Eleanor tränenüberströmt. Vor lauter Schluchzen bekam sie kaum noch Luft.
»Das haben wir gleich«, sagte Cordelia und rieb die angeblichen Flecke mit etwas Spucke weg. »Alles wieder weg, siehst du?«
»Hier ist auch noch etwas …« Eleanor pflückte einen ganz und gar nicht eingebildeten Zahn aus ihrem Ohr und streckte ihn Cordelia entgegen.
»Iih«, sagte Brendan, der etwas ratlos mit Will danebenstand und den beiden zusah. Cordelia nahm ihre kleine Schwester fest in den Arm und ließ hinter ihrem Rücken den Zahn auf den Boden fallen. Dem Piloten gab sie mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass er möglichst unauffällig die Knochen wegschaffen sollte. Will klaubte die Einzelteile des Skeletts zusammen und trug sie den Gang hinunter. Nur der Zahn lag noch blitzend auf dem Fußboden.
»Tut mir leid, Nell«, sagte Brendan und umarmte seine Schwester. »Die Geschichte mit der Tarantel habe ich nur erfunden, weil ich nicht wollte, dass du das Ding siehst.«
»Lieber tausend lebende Taranteln als ein totes Skelett!«, schniefte Eleanor. »Ab jetzt sagst du mir besser gleich die Wahrheit. Ich bin alt genug, ich komme schon klar.«
Brendan nickte und drückte ihre Hand. Cordelia hielt die andere Hand fest … und kurz darauf schlüpften die Geschwister durch das Loch in der Wand zurück auf die »normale« Seite der Villa Kristoff, was auch immer normal in diesen Zeiten bedeutete. Will folgte ihnen, nachdem er alle Fackeln im Geheimgang gelöscht hatte.
»Hast du den Schrank gut abgeschlossen?«, fragte Eleanor.
»Leider gibt es kein Schloss, aber das Skelett wird nicht weglaufen, es ist mausetot.«
»In diesem Haus wäre ich mir da nicht so sicher«, meinte Brendan skeptisch.
»Und deshalb will ich heute Nacht zwischen euch schlafen«, sagte Eleanor.
»Es ist tatsächlich allerhöchste Zeit, ins Bett zu gehen«, bestimmte Cordelia. »Es war für alle ein langer Tag.«
»Ich habe solchen Durst«, stöhnte Eleanor. »Ich trau mich gar nicht, es laut zu sagen, sonst fühlen sich meine Lippen
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