Der Fluch des Denver Kristoff
gewesen sein soll – hörte ich in einem der Gänge auf einmal irgendwo Wasser tropfen. Die Geräusche klangen, als kämen sie aus einer Höhle … dort fand ich Mr Kristoff.«
»Was machte er da?«, fragte Cordelia.
»Er war in einer Art … das ist schwer zu beschreiben – in einer ›Höhle der Wonne‹, könnte man sagen.«
»Eine Höhle der Wonne?«
»Nun, ein in die Erde gegrabener Raum, ein Gewölbe, angefüllt mit allem, was das Herz eines Mannes mit Freude erfüllt: wunderbare Juwelen, Schätze, Frauen, Wein, Diener. Kristoff sang und tanzte … er sah aus wie ein Wahnsinniger, vollkommen berauscht vor Wonne. Als wäre er im Himmel oder in der Hölle. Wie in einem Traum. Aber es war eindeutig kein Traum …«
»Faszinierend«, unterbrach Will sie. Wie gebannt hing er an ihren Lippen, er musste sie nun doch unentwegt ansehen. Er hatte das Gefühl, sie schon ewig zu kennen. »Sie sind eine wunderbare Erzählerin.«
»Ich könnte stundenlang zuhören«, stimmte Brendan ihm zu.
»Dann seid still und lasst sie zu Ende erzählen!«, befahl Cordelia.
»Danke. Also mitten in der Höhle gab es ein Podest, wie für eine prächtige Statue geschaffen«, fuhr Penelope fort, »und darauf war ein Buch aufgestellt.«
»Und ich weiß auch schon, welches«, sagte Brendan.
»Ich nahm an, dass dieses das ›größte aller Werke‹ war, von dem Mr Kristoff so oft gesprochen hatte. Der Einband trug keinen Titel, sondern nur ein Symbol …«
»Lasst mich raten: ein Auge?«, fragte Brendan.
»Ja, stimmt!«
»Seht ihn euch an! Vor euch steht der Gewinner unserer heutigen Quizshow!«, tönte Brendan.
Penelope beachtete ihn nicht. Sie hatte ihre Geschichte ohnehin eher an Cordelia gerichtet, die trotz ihrer Kratzbürstigkeit die aufmerksamste Zuhörerin zu sein schien. »Als ich das Buch sah, verspürte ich auf einmal einen unwiderstehlichen Drang, es anzufassen. Ich wollte es sofort aufschlagen, um zu sehen, was drinstand. Dieses Buch war eindeutig der Schlüssel aller Fragen. Ich kam aus meinem dunklen Winkel hervor und steuerte direkt auf das Buch zu … als Mr Kristoff mich entdeckte.«
»Oh-oh«, machte Eleanor.
»Er wollte wissen, wie ich seinen privaten Rückzugsort hatte finden können. Weitaus größere Sorgen machte er sich allerdings um seine Tochter.«
»Die Windfurie?«, fragte Eleanor verwirrt.
»Nein … euer Bruder hat mir von dieser ›Windfurie‹ erzählt, aber wie ich sie kannte, war Mr Kristoffs Tochter ein niedliches kleines Mädchen namens Dahlia. Er betete sie an. Sie war das Einzige, was ihm wichtiger war als seine Bücher! Obwohl Mr Kristoff sich manchmal tagelang in seiner Arbeit vergraben konnte, schien er jedes Mal wie verwandelt, sobald er mit Dahlia zusammen war: das perfekte Abbild eines Vaters, der vollkommen in seine Tochter vernarrt ist. In diesen Momenten hatte er nie diese beängstigenden blutunterlaufenen Augen. Oder dieses wahnsinnige Grinsen.«
»Was ist dann passiert?«, wollte Brendan wissen.
»Mr Kristoff glühte vor Zorn. Er beschimpfte mich aufs Übelste und machte mir schlimmste Vorhaltungen, weil durch meinen Leichtsinn Dahlia vielleicht auf den Geheimgang stoßen könnte. Niemals dürfe sie von diesem Ort erfahren! Niemals dürfe sie ihn in diesem Zustand erleben! Ich versprach Mr Kristoff, nie wieder an diesen Ort zu kommen und dass ich sein Geheimnis für mich behalten würde. Ich flehte ihn an, mir zu vertrauen … und auf einmal wurde er vollkommen ruhig und befahl mir, absolut still zu stehen und mich nicht zu bewegen. Er stand eine Weile vor dem Podest und schrieb etwas in das Buch. Ich werde nie erfahren, was er geschrieben hat, denn als er sich umdrehte, hielt er einen Streitkolben in der Hand, helle Flammen schlugen daraus hervor.«
»Wow, ein flammender Streitkolben«, sagte Brendan. »Fantastisch!«
»Oh nein, dieser Streitkolben war sicher kein Fantasiegebilde, er war echt und unheimlich Furcht einflößend. Als habe der Satan höchstpersönlich diese Waffe erschaffen! Sie war aus schwarzem Metall und doch brannte sie, als wäre sie aus Holz. Die Flammen schienen Mr Kristoff überhaupt nichts anhaben zu können. Ich konnte nicht begreifen, was sich dort vor meinen Augen abspielte. Und als ich Kristoff ansah …« Penelopes Stimme erstarb, als könne sie die Erinnerung kaum ertragen.
»Was war mit ihm?«, fragte Cordelia.
»Sein ganzes Gesicht war … entsetzlich verzerrt. Die eine Hälfte hatte sich zu einem Grinsen verzogen und die andere war eine
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