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Der Fluch des Florentiners

Der Fluch des Florentiners

Titel: Der Fluch des Florentiners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ackermann
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noch einmal hoch zum Werbebanner der Bank am Kirchturm, von dort zu dem Messingschild an der Wand hinter ihr. Es war die Dompfarre St. Stephan. Nur wenige Meter links von ihr befand sich das dort residierende Bankhaus Carl Sprängler & Co., Österreichs ältestes Bankhaus. Ganz in der Nähe hatte sich die Bank Austria Creditanstalt einquartiert. Alles in erstbester Innenstadtlage, dachte Marie-Claire. Wirklich eine sehr symbolträchtige Konstellation! Die Banken scharen sich um den Dom, das Symbol klerikaler Macht, wie Vasallen um ihren wahren Herrscher! Als suche ihr Auge nach weiteren Beweisen, nach Indizien für das, was sie eigentlich seit wenigen Minuten wusste, starrte sie auf ein Plakat am Stephansdom. Für Touristen stand dort erklärt, dass es im Dom eine romanische Empore gab, auf der die Herrscher Messen gefeiert – aber auch Regierungsgeschäfte getätigt hatten. Ja, ganz offensichtlich einten sich hier an diesem Dom inmitten Wiens seit Jahrhunderten die Symbole staatlicher wie auch weltlicher Macht. Und dazu gehörte der Orden der Ritter vom Goldenen Vlies!
    Aber das wusste sie erst seit einer Viertelstunde. Seit sie es entdeckt hatte, überschlugen sich ihre Gedanken. Sie wusste, wo sich heute Abend die Honoratioren des Ordens vom Goldenen Vlies treffen würden! Ja, sie wusste es!
    Zwei Stunden war sie gestern in der Dunkelheit durch die Gassen der Innenstadt nahe des Doms geirrt, aber nirgendwo hatte sie eine Barockkirche ausfindig machen können. Mehr und mehr waren ihr Zweifel gekommen, ob sie sich nicht in etwas verrannte. Denn eine direkte Verbindung zwischen dem Orden vom Goldenen Vlies, dem Florentiner und den Raubüberfällen von Florenz und Deutschland existierte bislang eigentlich nur in ihrem Kopf. Es war Intuition, ihre Intuition – mehr nicht! Und mit jedem Schritt durch die Gassen der Wiener Innenstadt war sie sich sicherer, dass ihr Sicherheitschef Francis Roundell ihre Intuition schlichtweg als Spinnerei bezeichnen würde.
    Enttäuscht und missmutig hatte sie gegen acht Uhr abends schon aufgeben wollen, als die Glocken des Stephansdoms zu läuten begonnen hatten. Die dumpfen Glockenschläge des von den Wienern liebevoll » Steffi « genannten Doms hatten sie zu einem letzten Blick hinauf zu dem festlich beleuchteten, im tiefdunklen Abendhimmel noch stolzer und noch beeindruckender wirkenden Turm veranlasst. Und plötzlich war ihr der zündende Gedanke gekommen. Ohne Frühstück und extrem aufgedreht war sie schon am frühen Morgen wieder hierher gekommen – und hatte triumphiert! Ja, die Tür zur Türmerstube war auf! Die kleine, hölzerne Tür gegenüber der Dompfarre, vor der sie jetzt saß, sie war geöffnet! Ein junger Bursche kauerte unausgeschlafen im winzigen Kassenraum.
    » Dreihundertdreiundvierzig Stufen! Eine stolze Leistung am frühen Morgen! « Mehr hatte der Kassierer nicht gesagt, als sie die drei Euro Eintritt zahlte und dann losging – den beängstigend engen, eiskalten Wendeltreppengang hinauf zu dem fast in der Mitte des Hauptturms wie ein gotisches Schwalbennes t t hronenden Türmerstübchen. Von dort oben, so war ihr am Vorabend klar geworden, würde sie einen perfekten Panoramablick über das nähere Umfeld des Doms haben. Wenn es diese Kirche, diese barocke Kirche der Ritter vom Goldenen Vlies, wirklich irgendwo hier gab, dann müsste sie von dort oben zu sehen sein. Denn wo eine Kirche, so hatte sie kombiniert, da ist auch ein Kirchturm, eine Glocke – oder ein Kreuz!
    Und sie hatte Recht behalten! Nach Minuten strapaziöser Treppensteigerei hatte sie die Aussichtsplattform des Tü r merstübchens erreicht. Zweimal hatte sie umkehren wollen, weil ihr Puls ihr bis ins Trommelfell pochte. Den prächtigen, in die grün-weiß-schwarz-goldenen Dachschindeln des Kirchenschiffs eingearbeiteten Doppeladler des österreichischen Kaisertums hatte sie kaum beachtet. Bei Stufe zweihundertfünfzig hörte sie auf zu zählen. Der Sinn des ganzen Unterfangens erschien ihr mit jeder Stufe immer absurder. Zweifel marterten sie. Sie sollte sich mit dem Florentiner beschäftigen, hechelte jetzt aber wie eine Verrückte auf den » Steffi « – auf der Suche nach einer Kirche, von der sie nicht einmal wusste, ob es sie überhaupt gab, geschweige denn, was diese Kirche mit dem Florentiner zu tun hatte. Aber sie wollte nicht aufgeben, wollte Recht haben, sich und anderen beweisen, dass sie sich auf ihre Intuition verlassen konnte. So war sie das enge Treppenhaus weiter

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