Der Fluch des Florentiners
geschrieben hatte : » … Damit ist ein wichtiges Stichwort gefallen: Burgund! Aus Burgund kommt der Orden vom Goldenen Vlies. Seit einigen Jahren ist die Funktion des obersten Bandinhabers unserer ehrenwerten Bruderschaft untrennbar mit der des Führers und Souveräns des Ordens vom Goldenen Vlies verbunden! Die Idee, die dem Orden zugrunde liegt, war die Schaffung einer internationalen Ritterschaft, die dem Ideal des Chevalie r s ans peur et sans reproche – des Ritters ohne Furcht und Tadel entspricht … Feuerstrahl und Feuerstein versinnbildlichen den Wahlspruch des Ordens: Ante ferii quam flamma micet – man muss ihn schlagen, ehe die Flamme lodert! Welch edles Bild des Rittertums! Lassen wir unser Feuer lodern! In diesem Sinne sage ich mit den Worten Karls des Kühnen: Je lai empris – ich habe es gewagt! «
E ntsetzt starrte Marie-Claire aus dem Fenster. Sie hatte das Gefühl, in eine irreale Welt entführt worden zu sein. Das konnte nicht wahr sein! Er war verrückt, machtgierig, ein Fantast – ein Mann mit gefährlichen Ideen! Wie konnte ein halbwegs gebildeter Mensch solche konfusen und antidemokratischen Gedanken haben? Die Vorstellung, dass es in dieser dubiosen Vereinigung viele Männer gab, die in einflussreichen Positionen in Österreich und ganz Europa saßen, ließ sie erschaudern. War das eine Geheimloge? Drehten diese Männer an den Schrauben der Macht – heimlich, aber beharrlich? Waren die Intentionen der Ritter vom Goldenen Vlies identisch mit den Zielen dieser Bruderschaft? Oder suchten hier Männer nur die Nähe zu einem mächtigen Orden? In diesem Pamphlet stand ganz eindeutig, dass die Funktion des obersten Bandinhabers dieser katholischen Bruderschaft untrennbar mit der des Führers, des Souveräns des Ordens vom Golden Vlies verbunden war! War Gregor der oberste Bandinhaber? Was bedeutete diese Verbundenheit in der Praxis? Plötzlich erinnerte sie sich, was sie bei ihrem Besuch in der Schatzkammer in Wien im Saum der Ordensornate der Ritter vom Goldenen Vlies eingenäht gelesen hatte: » Je lai empriss. «
J a, das war es! Was Karl der Kühne einst gewagt hatte, das wollte Gregor, das wollten diese Männer, für die er diese Red e g eschrieben hatte, auch. Diese Männer identifizierten sich mit den Rittern vom Goldenen Vlies. Was aber, schoss es ihr durch den Kopf, wollten sie wagen? Warum interessierte sich Gregor, warum interessierten sich die Leute dieser Bruderschaft oder gar die Vlies-Ritter für den Florentiner -D iamanten?
» Hallo, Marie-Claire! «
Gregor war eingetreten. Sie hatte seinen Wagen nicht vorfahren hören. Er musste ihn außerhalb des Grundstücks geparkt haben und die Holztreppe lautlos heraufgeschlichen sein. Wie lange war er schon im Haus? Hatte er sie absichtlich bis zum Ende lesen lassen? Was würde er jetzt tun? War er gefährlich? Hatte sie ein streng gehütetes Geheimnis, eine Geheimloge enttarnt? War das hier eine politische Verschwörung? Auf einmal hatte sie Angst.
Gregor wirkte sehr gelassen, aber jede Wärme und Güte, die sie gestern Abend noch zu erkennen geglaubt hatte, war aus seinen Augen gewichen. Er ballte die Fäuste. So wie er jetzt da stand, war erschreckend deutlich zu sehen, dass er die Ideen, die er in seiner Rede vertrat, tatsächlich in sich trug. Seine Worte waren wie Dolchstöße.
» Schnüffelst du immer in anderer Leute Unterlagen herum? Schade, wirklich schade! Für kurze Zeit hatte ich tatsächlich geglaubt, du hättest ein persönliches Interesse an mir. Ja, das dachte ich Idiot wirklich! Aber dann merkte ich, dass du eine verkorkste Feministin bist, die hinter meinem Geld her ist. Und du hast nur deinen Job im Kopf, suchst diesen Florentiner – aus welchen Gründen auch immer! Bedauerlich ist eigentlich nur, dass ich dich heute Nacht nicht vernaschen konnte! Du kennst ja jetzt meinen Wahlspruch: Je la i e mpris! Na ja, einen Versuch war es allemal wert. Aber jetzt ist es wohl besser, wenn du mein Haus verlässt. Und zwar sofort! Ich rufe dir ein Taxi zum Bahnhof. «
Als sie zum Gästetrakt gehen wollte, hielt er sie zurück.
» Noch eins: Du solltest dir sehr genau überlegen, wem du etwas über mich und meine Freunde erzählst. «
13. Kapitel
A
b del Rahman war verärgert. Sein Gepäck war verschwu n den. Die Formalitäten am Lost & Found-Schalter in der Ankunftshalle des Flughafens Wien-Schwechat hatten sich über fast eine Stunde hingezogen. Nur mit seinem Handgepäck, einem kleinen Aktenkoffer, und
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