Der Fluch des Florentiners
dass er dich hier trifft. Verdammter Mist, da kommt er schon! «
Marie-Claire sah, wie das Gesicht ihres Freundes noch blasser wurde. Was er mit dem letzten Satz gemeint hatte, verstand sie nicht. Peters Gesicht verzog sich zu einem künstlichen Lächeln. Er stand auf und streckte seine Hand aus. Marie-Claire drehte sich um – und erstarrte.
*
Eine Stunde später hatte sich Marie-Claire de Vries noch immer nicht wirklich erholt. Sie zwang sich zu einem Höchstmaß an Selbstbeherrschung, aber in Wirklichkeit war sie mit den Nerven am Ende. Nur zeigen durfte sie es nicht. Peter war längst gegangen. Die Unterredung mit dem Araber hatte kaum mehr als zehn Minuten gedauert. Peter hatte im Auftrag der Verlagsleitung sein Bedauern zum Ausdruck gebracht, hatte um Verständnis gebeten dafür, dass die Rechtsabteilung des Verlages zu dem Schluss gekommen war, dass eine Weitergabe des aus handschriftlichen Aufzeichnungen bestehenden Manuskripts die Persönlichkeitsrechte des Autors verletzen würde. Der Autor sei zwar verstorben, aber die Sorgfaltspflicht des Verlages müsse auch eventuelle Interessen der Erben und im Manuskript genannter Dritter berücksichtigen. Daher sei es leider unmöglich, das Manuskript zu verkaufen.
Er hatte das perfekt gemacht. Wirklich professionell. Marie-Claire war maßlos beeindruckt gewesen. Das hatte sie ihm nicht zugetraut. Und sich selbst hatte sie auch nicht zugetraut, mit der danach entstandenen Situation fertig zu werden. Denn der Mann, der gekommen war und der ihr nun gegenüber saß und freundlich mit ihr plauderte, war niemand anderes als jener andere Mann von den beiden, den die Sicherheitsleute von Christie ’ s vor geraumer Zeit beim Verlassen der Zentrale in London heimlich fotografiert hatten. Ebenso wie Gregor von Freysing hatte sich dieser Abdel Rahman für die Auktion aus dem Jahre 1981 interessiert. Jene Auktion, bei der ein ungewöhnlich großer Diamant zur Versteigerung gelangen sollte. Nach ihrem jetzigen Kenntnisstand war Marie-Claire davon überzeugt, dass Christie ’ s damals der legendären Florentiner angeboten worden war.
Jetzt saß dieser Araber vor ihr. Ja, er war es. Ohne Zweifel. Sie hatte ihn sofort erkannt. Doch das war nicht der einzige, der wirkliche Grund für ihre Verwirrung. Nein. Dass um den Florentiner herum andauernd mysteriöse Dinge geschahen, Dinge, die ihre Welt auf den Kopf stellten, hatte sie im Laufe der letzten Wochen begriffen. Sie hatte sich fast schon daran gewöhnt und rechnete damit, ständig mit etwas Neuem konfrontiert zu werden. Das Problem, das sie nun hatte, war ein ganz anderes: der Mann, von dem sie nicht einmal genau wusste, wer er wirklich war und ob er wirklich Abdel Rahman hieß. Hatte Francis ihr nicht gesagt, dass er sich damals in London als Jilani – oder so ähnlich vorgestellt hatte? Doch das war ihr ebenso gleichgültig wie die Frage, warum er sich für den Florentiner interessierte. Der Mann, den sie nun schon seit einer Stunde betrachtete, dieser Mann verwirrte sie aus einem ganz anderen Grund: Sie hatte schon lange nicht mehr einem so gut aussehenden Mann gegenübergesessen. Er sah aus wie Omar Sharif in jungen Jahren. Sein Gesicht war fast ebenmäßig und doch extrem männlich und markant. Er hatte kräftige und doch schlanke, schöne Hände. Seine tiefdunklen Augen sprühten vor Lebenskraft und Elan. Und er war sympathisch, unendlich sympathisch.
Weit mehr als Gregor stellte er ihre Gefühlswelt auf den Kopf. Sie verlor sich in seinen Augen, sein Charme umhüllte sie – und gleichzeitig riet ihr der Verstand zu extremster Vorsicht. Als sie vor wenigen Minuten von der Toilette zurückgekehrt war, hatte sie gesehen, dass sie einen fatalen Fehler begangen hatte. Unter ihrem Mantel auf dem Stuhl neben ihr lag das Originalmanuskript von Alphonse de Sondheimer, und sie hatte es dort liegen lassen. Sie glaubte, den Mantel bei m A ufstehen leicht gestreift zu haben, so dass der Stapel Papier jetzt deutlich zu sehen war.
Marie-Claire saß nun wieder am Tisch, lächelte und schielte auf den Nachbarstuhl. Die Hälfte des Titelblattes schaute unter dem Mantel hervor. Der Name Alphonse de Sondheimer war in großen Lettern deutlich zu lesen. Hatte der Araber es gesehen und in ihrer Abwesenheit darin geblättert? Marie-Claire wusste es nicht, und zu ihrer eigenen Beschämung hielt sie sich auch nicht bei diesem Gedanken auf …
Marie-Claire wachte mit schlechter Laune auf. Die Nacht war für sie ein einziges Martyrium
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