Der Fluch des Khan
standhielt. So wie Ella Fitzgerald mit ihrer Stimme ein Glas zerspringen lassen konnte, führten die akustischen Schwingungen zu einem Bruch der achthundert Meter unter dem Meeresspiegel gelegenen Verwerfung.
Dieser Bruch wiederum löste heftige Erschütterungen an der Erdoberfläche aus, die vom US Geological Survey mit einer Stärke von 7,2 auf der Richter-Skala gemessen wurden – ein mörderisches Beben in jeglicher Hinsicht. Trotzdem verloren nur wenige Menschen das Leben, und schwerere Schäden gab es lediglich in ein paar iranischen Ortschaften nahe der Insel Khark. Da der Persische Golf zu seicht ist, als dass hier ein Tsunami entstehen kann, war fast ausschließlich die iranische Küste am Südzipfel des Golfs betroffen. Und die Insel Khark.
Auf der kleinen Insel mit ihren Ölpumpanlagen allerdings entstanden verheerende Schäden. Das ganze Eiland erbebte, als wäre eine Atombombe unter ihm explodiert. Dutzende von Öltanks zerplatzten wie Ballons, worauf der Inhalt den Hang hinabströmte und sich ins Meer ergoss. Die gewaltige Transportbrücke vor der Ostküste zerbrach in mehrere herumtreibende Teile, die gegen die vertäuten Tanker prallten und ihre Rümpfe durchbohrten. Der Mammuttanker-Terminal an der Westküste verschwand völlig.
Das kleine schwarze Bohrschiff hielt sich nicht lange mit der Begutachtung des Schadens auf, sondern dampfte in den frühen Morgenstunden in Richtung Süden. Die zahlreichen Hubschrauber und Rettungsschiffe, die das felsige Eiland ansteuerten, beachteten das alte Schiff kaum, das sich vom Ort der Zerstörung entfernte, nachdem es ganz allein den iranischen Ölexport zum Erliegen gebracht, damit dem weltweiten Erdölmarkt einen weiteren schweren Schlag versetzt und China ins Chaos gestürzt hatte.
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A uf dem ohnehin schon schwer erschütterten Ölterminmarkt schlug die Nachricht von den Zerstörungen auf der Insel Khark wie eine Atombombe ein und löste ein allgemeines Chaos aus. Von Angst und Hektik getriebene Händler stürzten sich auf Terminkontrakte und trieben den Rohölpreis bis auf aberwitzige hundertfünzig Dollar pro Barrel hoch. Der Dow Jones Index an der Wall Street hingegen entwickelte sich in entgegengesetzter Richtung. Die Börse musste vorzeitig schließen, als der Freiverkehr zum Erliegen kam, nachdem der Marktwert durch massive Verkäufe innerhalb eines halben Tages um zwanzig Prozent gefallen war.
Überall in den Vereinigten Staaten rasten besorgte Autofahrer zur nächstbesten Tankstelle, um sich noch möglichst günstigen Sprit zu besorgen. Durch den Ansturm und die Hamsterkäufe gingen die geringen Bezinreserven rasch zur Neige, und bald darauf waren sämtliche Staaten von der Treibstoffknappheit betroffen. In manchen Regionen kam es gelegentlich sogar zu gewalttätigen Auseinandersetzungen wegen der schwindenden Vorräte.
Im Cabinet Room des Weißen Hauses berief der Präsident eine Sondersitzung mit den obersten Wirtschafts- und Sicherheitsberatern ein. Der aus Montana stammende Präsident, ein nüchterner und allgemein beliebter Mann, hörte schweigend zu, als sein höchster Wirtschaftsberater eine Reihe verheerender Folgen des Ölschocks aufzählte.
»Ein fast hundertprozentiger Anstieg des Ölpreises innerhalb von knapp zwei Monaten wird zu einem noch nie dagewesenen Inflationsdruck führen«, erklärte der Berater, ein Mann mit schütter werdendem Haar und dicker Brille. »Das gesamte Transportwesen wird in größte Schwierigkeiten geraten, aber darüber hinaus sind auch noch zahllose andere Unternehmen auf Erdöl angewiesen, sei es für die Herstellung von Plastik, Chemikalien, Farbe oder Textilien … es gibt kaum einen Industriezweig, der nicht unmittelbar von einem Preisanstieg betroffen ist. Zumal diese Preisentwicklung an den Verbraucher weitergegeben werden muss, der dann die Auswirkungen des Ölschocks bereits an der Tankstelle zu spüren bekommt. Dass es zu einer sofortigen Rezession kommen wird, steht schon jetzt fest. Ich befürchte sogar, dass wir vor einer schweren und langen Wirtschaftskrise von weltweiten Ausmaßen stehen.«
»Ist diese Preiserhöhung nicht eine übertriebene Reaktion?«, fragte der Präsident. »Immerhin importieren wir keinen Tropfen Öl aus dem Iran.«
»Die allgemeine Panik spielt zweifellos eine große Rolle. Aber die Schäden auf Khark beeinträchtigen die weltweite Versorgung mit Öl, was sich wiederum auf die Preise in den USA auswirkt, selbst wenn unsere Versorgung stabil bleibt. Natürlich erleben
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