Der Fluch des Khan
Marmorsäulen boten durch ihre tiefe Kannelierung guten Halt. Theresa und Wofford streckten die Arme um eine Säule und fassten sich an den Händen. Giordino schlang seinen kräftigen linken Arm um den Marmor und hielt mit der anderen Hand die Makarow fest. Tatiana vergaß angesichts der anbrandenden Wassermassen ihre Angst, von einem Schuss getroffen zu werden, und klammerte sich an Giordinos Taille.
Pitt hatte gerade noch Zeit, sich flach hinzulegen, die Säule zu umfassen und die Luft anzuhalten, bevor die Sintflut über ihn hereinbrach.
Doch zuerst vernahmen sie schrille Schreie. Die Wachen, die heimlich das Portal umstellt hatten, wurden von dem Wildwasser überrascht, von den Beinen gerissen und von der Woge verschlungen, die sich auf das Wohnhaus zuwälzte. Pitt hörte den Aufschrei eines Wachmanns, der nur ein paar Meter neben ihm von der Strömung dem Haus entgegengeworfen wurde.
Die Welle folgte dem Weg des geringsten Widerstands, wälzte sich über den nördlichen Teil des Anwesens, während das Labor und die Garage größtenteils verschont blieben. Dann brandete sie, von einem tiefen Grollen begleitet, mit voller Wucht gegen das Haus. Wie Pitt gehofft hatte, wirkten die Säulen wie Wellenbrecher und fingen die größte Wucht des Wassers ab, dennoch wurden seine Beine vom Boden gerissen, und er musste sich mit aller Kraft festhalten, bis die Flut über ihn hinweggespült war und der gewaltige Sog etwas nachließ. Jetzt erst, da keine Gefahr mehr bestand, dass er mitgerissen und übel zugerichtet werden könnte, spürte er, wie eisig das Wasser war.
Im ersten Moment traf es ihn wie ein Schock, raubte ihm den Atem und brannte wie tausend spitze Nadeln auf der Haut. Er zog sich an der Säule hoch und stellte fest, dass ihm die Flut nur noch bis zum Schenkel reichte, warf dann einen Blick zu Giordino und sah, wie er Tatiana hustend und spuckend aus dem Wasser zog. Kurz darauf tauchten auch Theresa und Wofford auf, die ebenfalls vor Kälte nach Luft japsten.
Die Wasserwand war auf dem Weg bergab ins Haus eingedrungen, hatte die Tür mitgerissen und strömte gut einen halben Meter hoch durchs Foyer. Der Großteil der Welle hatte sich aber an dem massiven Gemäuer gebrochen. Die brodelnde Flut strudelte schließlich um den Nordflügel des Hauses und ergoss sich in einem breiten Wasserfall über die Klippe an der hinteren Grundstücksgrenze. Hier und da übertönten die erstickten Schreie der Männer das Tosen des Flusses. Sie hatten das erste Anbranden der Woge überlebt, nur um jetzt zu Tal gerissen zu werden. Dann brach der Nordflügel unter der Wucht des Wassers zusammen und stürzte mit lautem Getöse in die Fluten.
Auf der Vorderseite ließ die Strömung unterdessen nach, sodass Pitt zu den anderen waten konnte, die sich um Giordinos Säule versammelt hatten. Mit grimmiger Miene betrachtete er die Leichen mehrerer Wachmänner, die immer noch in der Auffahrt herumtrieben. Dann sah er, dass Theresa ihn mit glasigen Augen anstarrte und von Kopf bis Fuß zitterte. Selbst Giordino, den so leicht nichts erschüttern konnte, wirkte wie betäubt – vermutlich hatte er durch die Schussverletzung und das unfreiwillige Bad in dem eisigen Wasser eine Art Schock erlitten. Pitt war sich darüber im Klaren, dass sie sich alle eine Unterkühlung zuziehen würden, wenn sie nicht schleunigst aus der kalten Flut kamen.
»Wir müssen auf trockenen Boden. Da rüber«, sagte er und deutete auf das Labor, das auf einer leichten Anhöhe stand.
Wofford nahm Theresa am Arm, während Pitt darauf achtete, dass Tatiana nicht floh. Aber auch ihr war nach dem eisigen Bad nicht mehr nach Widerstand zumute.
Der umgeleitete Fluss hatte sich zwei neue Betten durch das Anwesen gegraben. Der Hauptarm strömte vom Tor zum nördlichen Teil des Hauses, wo das Wasser noch immer um die einstürzenden Mauern brodelte, der zweite wirbelte auf das Labor zu und schwappte dann zurück zum Portal, wo sich ein Teil ins Haus ergoss, während sich der Rest mit dem Hauptarm vereinigte und seitlich um das Gemäuer flutete.
Dieser Nebenarm war es, der Pitt und die anderen einschloss.
Zwar führte er den Trupp rasch aus dem tiefsten Geländeabschnitt heraus, aber noch immer standen sie bis zu den Knöcheln im eisigen Wasser, das sich nach allen Seiten ausbreitete.
Rundum hallten Schreie und lautes Gebrüll der Wissenschaftler über das Grundstück, als sie versuchten, das Einbrechen des Wassers in das Labor zu verhindern. In der Garage rief jemand
Weitere Kostenlose Bücher