Der Fluch des Khan
Silhouette des Schiffes betrachteten, das sich eher im Schein der Lichter vom Ufer abzeichnete als durch die Notbeleuchtung, hoffte Pitt insgeheim, recht zu haben. Das Heck des Forschungsschiffes sank eindeutig immer tiefer, und zwar schnell. Das Wasser stand bereits über dem Unterdeck und würde bald über das offene Achterdeck schwappen. Giordino flog instinktiv nach Listwjanka, während Pitt sich von der krängenden
Wereschtschagin
abwandte und die Schiffe betrachtete, die vor der Ortschaft vor Anker lagen.
»Suchst du irgendwas Bestimmtes?«, fragte Giordino.
»Einen starken Schlepper vor allem«, erwiderte Pitt, wusste aber, dass es so etwas auf dem ganzen See nicht gab. Unter ihnen huschten hauptsächlich Boote vorbei, kleine Fischerboote zumeist, so wie der gecharterte Seelenverkäufer, mit dem das Explorationsteam unterwegs gewesen war. Einige waren gekentert oder durch die Wucht der Seiche-Welle an Land gespült worden.
»Wie wär’s mit dem großen dort?«, fragte Giordino und deutete mit dem Kopf auf eine Reihe von Lichtern in der Bucht, etwa zwei Meilen entfernt.
»Als wir gestern Abend angekommen sind, war das noch nicht da. Vielleicht ist es am Einlaufen. Schaun wir’s uns mal an.«
Giordino zog den Helikopter herum und steuerte die Lichter an, in deren Schein sich kurz darauf die Umrisse eines Schiffes abzeichneten. Als der Hubschrauber näher kam, sah Pitt, dass es ein rund sechzig Meter langer Frachter war. Der Rumpf war schwarz gestrichen und mit braunen Flecken übersät, von denen sich Rostschlieren bis zur Wasserlinie zogen. Mitschiffs ragte ein verblichener blauer Schornstein auf, an dem ein goldenes Schwert prangte. Das alte Schiff hatte den See offensichtlich schon seit Jahrzehnten durchpflügt, Holz und Kohle von Listwjanka zu den abgelegenen Ortschaften an den Nordufern des Baikal befördert. Als Giordino die Steuerbordseite entlangflog, bemerkte Pitt einen großen schwarzen Turmaufbau, der am Achterdeck stand. Dann musterte er wieder den Schornstein und schüttelte den Kopf.
»Bringt nichts. Das liegt hier vor Anker, und aus dem Schornstein kommt kein Rauch, also sind die Maschinen kalt. Das dauert zu lange, bis die laufen.« Pitt deutete mit dem Kopf zur Ortschaft hin. »Ich glaube, wir müssen uns für Geschwindigkeit statt Kraft entscheiden.«
»Geschwindigkeit?«, fragte Giordino, als er Pitts Nicken sah, und steuerte die Ortschaft wieder an.
»Geschwindigkeit«, bestätigte Pitt und deutete auf eine Vielzahl bunter Lichter, die in der Ferne tanzten.
Unterdessen waren die Rettungsmaßnahmen auf der
Wereschtschagin
in vollem Gang. Die Hälfte der Besatzung saß bereits in zwei Booten, die gerade zu Wasser gelassen wurden. Gunn drängte sich an den verbliebenen Wissenschaftlern und Besatzungsmitgliedern vorbei zum Achterschiff und stieg dann ein Deck tiefer. Am anderen Ende des Gangs stand das Wasser bereits bis zur Decke, ab unmittelbar vor ihm war es nur knöcheltief. Die Gästekabinen befanden sich ganz in der Nähe, wie er erleichtert feststellte.
Trotzdem erschauderte Gunn, als er sich der ersten Kabine näherte, die Theresa und Tatiana sich teilten, und das eisige Wasser um seine Waden schwappte. Er rief ihre Namen und hämmerte an die Tür, dann drehte er den Knauf um und stemmte sich dagegen. Die Kabine war leer. Nirgendwo lagen persönliche Habseligkeiten, was nicht weiter verwunderlich war, da die Frauen kaum mehr als die Kleider, die sie am Leib trugen, bei sich gehabt hatten, als sie an Bord gekommen waren. Nur die zerknautschten Laken auf den beiden Kojen verrieten, dass hier jemand gewesen war.
Er schloss die Tür und ging rasch zur nächsten Kabine, verzog nur kurz das Gesicht, als ihm das Wasser um die Oberschenkel schwappte. Wieder rief er und klopfte an die Tür, bevor er sie aufdrückte. Soweit er wusste, teilten sich Roy und Wofford diese Unterkunft. Im schummrigen Schein der Notbeleuchtung sah er, dass die Kabine ebenfalls leer war. Doch in beiden Kojen hatte allem Anschein nach jemand geschlafen.
Mittlerweile war Gunn davon überzeugt, dass die Mitglieder des Explorationsteams oben an Deck waren. Blieb nur noch die Kabine vom Kapitän des Fischerbootes. Aber dort stand das Wasser bereits brusthoch, und seine Beine brannten in der eisigen Brühe schon jetzt, als würden sie mit tausend Nadeln traktiert. Weil er sich keine Unterkühlung zuziehen wollte, machte er lieber kehrt und begab sich wieder aufs Oberdeck, wo gerade das dritte Rettungsboot zu
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