Der Fluch des Khan
an den Füßen hatte, Dann wandte er sich an Kapitän Charitonow und fragte: »Sind alle Besatzungsmitglieder wohlbehalten?«
Der Kapitän zog eine besorgte Miene. »Anatoli, der Wachhabende auf der Brücke, wurde bislang noch nicht gesehen. Und Dr. Sarchow wird ebenfalls vermisst. Ich hatte gehofft, er wäre vielleicht bei Ihnen.«
»Alexander? Nein, der war nicht bei uns. Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit wir uns nach dem Abendessen zurückgezogen haben.«
»Er war auch in keinem der Rettungsboote«, erwiderte Charitonow.
Dann näherten sich Giordino und Gunn, beide sichtlich geknickt und mit gesenktem Kopf.
»Das sind nicht die Einzigen, die fehlen«, sagte Giordino, der das Gespräch mitgehört hatte. »Das gesamte Ölerkundungsteam, das wir gerettet haben, ist verschwunden. Keiner von ihnen saß in den Rettungsbooten, und in ihren Kabinen waren sie auch nicht.«
»Ich habe alle Kabinen überprüft, bis auf die des Bootskapitäns«, fügte Gunn mit einem Nicken hinzu.
»Und keiner hat gesehen, wie sie das Schiff verlassen haben?«, fragte Pitt.
»Nein«, sagte Giordino und schüttelte verständnislos den Kopf. »Spurlos verschwunden. Als wären sie niemals da gewesen.«
6
A ls einige Stunden später die Sonne im Südosten aufging und die Dämmerung anbrach, wurde deutlich, wie schlimm es um die
Wereschtschagin
wirklich stand. Der Maschinenraum, der Laderaum im Achterschiff und die unteren Kabinen waren vollgelaufen, und über ein gutes Drittel des Oberdecks schwappte das Wasser. Man konnte lediglich mutmaßen, wie lange das Schiff noch durchgehalten hätte, wenn es nicht zum Ufer geschleppt worden wäre. Doch allen war klar, dass es nur eine Frage von wenigen Minuten gewesen sein konnte.
Pitt und Kapitän Charitonow standen neben einem Andenkenkiosk, der von der Seiche-Welle weggerissen worden war, und musterten das auf Grund gelaufene Forschungsschiff. Pitt sah, wie zwei glänzend schwarze
Nerpa
neben dem Heck auftauchten und über die Reling schwammen. Die kleinen, rehäugigen Ringelrobben, die im See lebten, ließen sich träge über das überflutete Achterdeck treiben, bevor sie auf der Suche nach Nahrung wieder im Wasser verschwanden. Während Pitt darauf wartete, dass die
Nerpa
erneut auftauchten, betrachtete er die Wasserlinie des Schiffes und bemerkte mittschiffs einen schmalen roten Streifen, offenbar Farbabrieb von einem Kai oder einem Boot.
»Der Reparaturtrupp aus Irkutsk wird nicht vor morgen früh eintreffen«, sagte Charitonow mit grimmiger Miene.
»Ich lasse die Besatzung inzwischen tragbare Pumpen einsetzen, auch wenn das meiner Meinung nach wenig Sinn hat, solange wir die genaue Ursache der Havarie nicht feststellen können.«
»Das Verschwinden von Alexander und dem Ölexplorationsteam macht mir im Augenblick mehr zu schaffen«, erwiderte Pitt. »Da man sie auch an Land nicht gefunden hat, müssen wir davon ausgehen, dass sie nicht überlebt haben. Wir müssen den vollgelaufenen Teil des Schiffes nach ihren sterblichen Überresten absuchen.«
Der Kapitän nickte widerwillig. »Ja, wir müssen meinen Freund Alexander finden. Aber ich fürchte, wir sollten damit warten, bis ein Trupp Polizeitaucher ankommt.«
»Ich glaube nicht, dass wir so lange warten müssen, Kapitän«, sagte Pitt und deutete mit dem Kopf auf eine näher kommende Gestalt.
Knapp fünfzig Meter entfernt marschierte Giordino, der einen Bolzenschneider mit roten Griffen auf der Schulter liegen hatte, am Wasser entlang auf die beiden Männer zu.
»Den gab’s im Räumungsverkauf in einer Werkstatt in der Stadt«, sagte Giordino, wuchtete den Bolzenschneider von der Schulter und stellte ihn auf den Boden. Die langen Griffe reichten ihm fast bis zur Taille.
»Damit müssten wir uns Zugang zu den verschlossenen Teilen des Schiffes verschaffen können«, sagte Pitt.
»Sie? Sie wollen den Schaden untersuchen?«, fragte Charitonow, den die zupackende Art der beiden Amerikaner sichtlich verblüffte.
»Wir müssen doch feststellen, ob Alexander und die anderen noch an Bord sind«, sagte Giordino mit entschlossenem Blick.
»Die Leute, die Ihr Schiff versenken wollten, wer immer das auch gewesen sein mag, wollten möglicherweise unser Forschungsprojekt torpedieren«, fügte Pitt hinzu. »Wenn dem so ist, müssen wir rausfinden, warum. Unsere Tauchausrüstung ist im vorderen Laderaum verstaut. Folglich kommen wir an sämtliche Geräte ran.«
»Es könnte aber gefährlich werden«, warnte Charitonow.
»Das
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